Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 2. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite


Etwas alles seyn kann, noch wie es alles ist; denn unsere ganze Erkenntniß ist nur eine Erkenntniß der Aehnlichkeit und des Verhältnisses, welche bei dem Unermeßlichen, Unvergleichbaren, schlechterdings Einzigen auf keine Weise kann angewandt werden. Wir haben kein Auge weder für die Höhe dieses Lichts, noch für die Tiefe dieses Abgrunds; worüber die heiligen Bücher, indem sie beide äusserste Enden zusammenfassen mit Erhabenheit sagen: Tenebrae non obscurabuntur a te. Nox sicut Dies illuminabitur. Sicut tenebrae ejus, ita et lumen ejus."

Dieses mag als ein Beispiel zur Erläuterung meiner Gedanken von der höheren Schwärmerei hinreichend seyn. Hier siehet man, wie die produktive (dichterische) Einbildungskraft, alle andere Erkenntnißkräfte zur Würksamkeit über die Grenzen ihres Vermögens anspornt. Die Natureinheit die der Verstand erkennt, schaft sie zur höchsten Natureinheit, die sie nachher in der höchsten Einheit der Prinzipien idealisirt. Das Erkenntnißvermögen erhebt sich beständig über sich selbst, und fällt wiederum in seinen vorigen Zustand zurück. Daher die Verworrenheit im Vortrage der Gedanken, und das Bildliche im Ausdrucke. Daher das Bestreben die Gedanken auf verschiedene Arten darzustellen, und die Vermängung des Dichterischen mit dem Philosophischen.



Etwas alles seyn kann, noch wie es alles ist; denn unsere ganze Erkenntniß ist nur eine Erkenntniß der Aehnlichkeit und des Verhaͤltnisses, welche bei dem Unermeßlichen, Unvergleichbaren, schlechterdings Einzigen auf keine Weise kann angewandt werden. Wir haben kein Auge weder fuͤr die Hoͤhe dieses Lichts, noch fuͤr die Tiefe dieses Abgrunds; woruͤber die heiligen Buͤcher, indem sie beide aͤusserste Enden zusammenfassen mit Erhabenheit sagen: Tenebrae non obscurabuntur a te. Nox sicut Dies illuminabitur. Sicut tenebrae ejus, ita et lumen ejus.«

Dieses mag als ein Beispiel zur Erlaͤuterung meiner Gedanken von der hoͤheren Schwaͤrmerei hinreichend seyn. Hier siehet man, wie die produktive (dichterische) Einbildungskraft, alle andere Erkenntnißkraͤfte zur Wuͤrksamkeit uͤber die Grenzen ihres Vermoͤgens anspornt. Die Natureinheit die der Verstand erkennt, schaft sie zur hoͤchsten Natureinheit, die sie nachher in der hoͤchsten Einheit der Prinzipien idealisirt. Das Erkenntnißvermoͤgen erhebt sich bestaͤndig uͤber sich selbst, und faͤllt wiederum in seinen vorigen Zustand zuruͤck. Daher die Verworrenheit im Vortrage der Gedanken, und das Bildliche im Ausdrucke. Daher das Bestreben die Gedanken auf verschiedene Arten darzustellen, und die Vermaͤngung des Dichterischen mit dem Philosophischen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0083" n="83"/><lb/>
Etwas alles seyn kann, noch wie es alles ist; denn unsere ganze Erkenntniß                         ist nur eine Erkenntniß der Aehnlichkeit und des Verha&#x0364;ltnisses, welche bei                         dem Unermeßlichen, Unvergleichbaren, schlechterdings Einzigen auf keine                         Weise kann angewandt werden. Wir haben kein Auge weder fu&#x0364;r die Ho&#x0364;he dieses                         Lichts, noch fu&#x0364;r die Tiefe dieses Abgrunds; woru&#x0364;ber die heiligen Bu&#x0364;cher,                         indem sie beide a&#x0364;usserste Enden zusammenfassen mit Erhabenheit sagen: <hi rendition="#aq">Tenebrae non obscurabuntur a te. Nox sicut Dies                             illuminabitur. Sicut tenebrae ejus, ita et lumen ejus.«</hi></p>
              <p>Dieses mag als ein Beispiel zur Erla&#x0364;uterung meiner Gedanken von der <hi rendition="#b">ho&#x0364;heren</hi> Schwa&#x0364;rmerei hinreichend seyn. Hier siehet                         man, wie die produktive (dichterische) Einbildungskraft, alle andere                         Erkenntnißkra&#x0364;fte zur Wu&#x0364;rksamkeit <hi rendition="#b">u&#x0364;ber die Grenzen ihres                             Vermo&#x0364;gens</hi> anspornt. Die <hi rendition="#b">Natureinheit</hi> die                         der <hi rendition="#b">Verstand</hi> erkennt, schaft sie zur <hi rendition="#b">ho&#x0364;chsten Natureinheit,</hi> die sie nachher in der <hi rendition="#b">ho&#x0364;chsten Einheit der Prinzipien idealisirt.</hi> Das                         Erkenntnißvermo&#x0364;gen <hi rendition="#b">erhebt sich besta&#x0364;ndig u&#x0364;ber sich                             selbst,</hi> und <hi rendition="#b">fa&#x0364;llt </hi> wiederum in seinen                         vorigen Zustand zuru&#x0364;ck. Daher die <hi rendition="#b">Verworrenheit</hi> im                         Vortrage der Gedanken, und das <hi rendition="#b">Bildliche </hi> im                         Ausdrucke. Daher das Bestreben die Gedanken auf verschiedene Arten                         darzustellen, und die Verma&#x0364;ngung des <hi rendition="#b">Dichterischen</hi> mit dem <hi rendition="#b">Philosophischen.</hi></p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[83/0083] Etwas alles seyn kann, noch wie es alles ist; denn unsere ganze Erkenntniß ist nur eine Erkenntniß der Aehnlichkeit und des Verhaͤltnisses, welche bei dem Unermeßlichen, Unvergleichbaren, schlechterdings Einzigen auf keine Weise kann angewandt werden. Wir haben kein Auge weder fuͤr die Hoͤhe dieses Lichts, noch fuͤr die Tiefe dieses Abgrunds; woruͤber die heiligen Buͤcher, indem sie beide aͤusserste Enden zusammenfassen mit Erhabenheit sagen: Tenebrae non obscurabuntur a te. Nox sicut Dies illuminabitur. Sicut tenebrae ejus, ita et lumen ejus.« Dieses mag als ein Beispiel zur Erlaͤuterung meiner Gedanken von der hoͤheren Schwaͤrmerei hinreichend seyn. Hier siehet man, wie die produktive (dichterische) Einbildungskraft, alle andere Erkenntnißkraͤfte zur Wuͤrksamkeit uͤber die Grenzen ihres Vermoͤgens anspornt. Die Natureinheit die der Verstand erkennt, schaft sie zur hoͤchsten Natureinheit, die sie nachher in der hoͤchsten Einheit der Prinzipien idealisirt. Das Erkenntnißvermoͤgen erhebt sich bestaͤndig uͤber sich selbst, und faͤllt wiederum in seinen vorigen Zustand zuruͤck. Daher die Verworrenheit im Vortrage der Gedanken, und das Bildliche im Ausdrucke. Daher das Bestreben die Gedanken auf verschiedene Arten darzustellen, und die Vermaͤngung des Dichterischen mit dem Philosophischen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, University of Glasgow, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01002_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01002_1793/83
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 2. Berlin, 1793, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01002_1793/83>, abgerufen am 14.05.2024.