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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 2. Berlin, 1793.

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wovor ich mich nicht zu retten weiß. Neulich trieb mirs Thränen in die Augen, ich mußte niederfallen. Gieb mir Sie, du Unbegreiflicher, sagt' ich, vor dem allein mein Geist sich beugt! Gieb mir Sie endlich endlich nur, nach allen ausgeprüften Quaalen, Sie! -- Jch gelobte bis dahin nie nach dem letzten Genuß der Liebe zu streben. Du kennst mich, sagt' ich, mehr Tugend hab' ich nicht, wenn vor dir Entbehrung Tugend ist, mehr hab' ich nicht, als um Sie allen Freuden des Lebens abzusagen, um sie mich auf dies Endlich meines Lebens aufzusparen, zu schmachten und zu kämpfen.

Kann ich mit Gott anders reden als ich denke und empfinde, wenn ich nicht rasen, wenn ich die Würkung des Gebets -- Vertrauen und neuen Muth an mir erfahren will? Soll ich dem Allwissenden mehr versprechen als ich zu halten weiß? -- Und doch kömmt dies Wesen: reine Tugend, immer wieder hervor. Jch will schwören, daß ich nicht weiß, was das ist: reine Tugend, und doch ist mirs immer als müßt' ich ein ewiger harmvoller Zweifler bleiben, ohne sie, als wolle man mir nicht eher, auch nur Gehör, geben, bis ich mit ihr bekannt in ihrem Namen bitten könnte. Wunderbares Chaos in mir! Welches Schöpfer-Wort wird all das ordnen? -- Jch müßte auch Ludwinen wegdenken können, und denn doch glücklich zu seyn begehren können! -- Ach Mensch! das, worauf du so stolz bist, was dich so zum Ty-


wovor ich mich nicht zu retten weiß. Neulich trieb mirs Thraͤnen in die Augen, ich mußte niederfallen. Gieb mir Sie, du Unbegreiflicher, sagt' ich, vor dem allein mein Geist sich beugt! Gieb mir Sie endlich endlich nur, nach allen ausgepruͤften Quaalen, Sie! — Jch gelobte bis dahin nie nach dem letzten Genuß der Liebe zu streben. Du kennst mich, sagt' ich, mehr Tugend hab' ich nicht, wenn vor dir Entbehrung Tugend ist, mehr hab' ich nicht, als um Sie allen Freuden des Lebens abzusagen, um sie mich auf dies Endlich meines Lebens aufzusparen, zu schmachten und zu kaͤmpfen.

Kann ich mit Gott anders reden als ich denke und empfinde, wenn ich nicht rasen, wenn ich die Wuͤrkung des Gebets — Vertrauen und neuen Muth an mir erfahren will? Soll ich dem Allwissenden mehr versprechen als ich zu halten weiß? — Und doch koͤmmt dies Wesen: reine Tugend, immer wieder hervor. Jch will schwoͤren, daß ich nicht weiß, was das ist: reine Tugend, und doch ist mirs immer als muͤßt' ich ein ewiger harmvoller Zweifler bleiben, ohne sie, als wolle man mir nicht eher, auch nur Gehoͤr, geben, bis ich mit ihr bekannt in ihrem Namen bitten koͤnnte. Wunderbares Chaos in mir! Welches Schoͤpfer-Wort wird all das ordnen? — Jch muͤßte auch Ludwinen wegdenken koͤnnen, und denn doch gluͤcklich zu seyn begehren koͤnnen! — Ach Mensch! das, worauf du so stolz bist, was dich so zum Ty-

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[86/0086] wovor ich mich nicht zu retten weiß. Neulich trieb mirs Thraͤnen in die Augen, ich mußte niederfallen. Gieb mir Sie, du Unbegreiflicher, sagt' ich, vor dem allein mein Geist sich beugt! Gieb mir Sie endlich endlich nur, nach allen ausgepruͤften Quaalen, Sie! — Jch gelobte bis dahin nie nach dem letzten Genuß der Liebe zu streben. Du kennst mich, sagt' ich, mehr Tugend hab' ich nicht, wenn vor dir Entbehrung Tugend ist, mehr hab' ich nicht, als um Sie allen Freuden des Lebens abzusagen, um sie mich auf dies Endlich meines Lebens aufzusparen, zu schmachten und zu kaͤmpfen. Kann ich mit Gott anders reden als ich denke und empfinde, wenn ich nicht rasen, wenn ich die Wuͤrkung des Gebets — Vertrauen und neuen Muth an mir erfahren will? Soll ich dem Allwissenden mehr versprechen als ich zu halten weiß? — Und doch koͤmmt dies Wesen: reine Tugend, immer wieder hervor. Jch will schwoͤren, daß ich nicht weiß, was das ist: reine Tugend, und doch ist mirs immer als muͤßt' ich ein ewiger harmvoller Zweifler bleiben, ohne sie, als wolle man mir nicht eher, auch nur Gehoͤr, geben, bis ich mit ihr bekannt in ihrem Namen bitten koͤnnte. Wunderbares Chaos in mir! Welches Schoͤpfer-Wort wird all das ordnen? — Jch muͤßte auch Ludwinen wegdenken koͤnnen, und denn doch gluͤcklich zu seyn begehren koͤnnen! — Ach Mensch! das, worauf du so stolz bist, was dich so zum Ty-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 2. Berlin, 1793, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01002_1793/86>, abgerufen am 25.11.2024.