Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 2. Berlin, 1793.
Gestern schlugs 12 Uhr als ich bei Jhr war. Nun laß uns einmal, sagte Sie, von heute bis morgen küssen! Und so hieng ich, bis alle Schläge geschehen waren, in einem Kuß an ihr. Ach! die Begierde wollte mir die Kehle zuschnüren, und noch treibt die Jdee, von heute bis morgen Sie küssen, Sie genießen, das Blut wie Feuer durch meine Adern. O Mädchen! Mädchen! am 4. Junius. Jch konnte diese Nacht nicht schlafen, es ward mir so heiß, so ungeduldig im Bett, ich stand also, es mochte etwa 2 Uhr seyn, auf und gieng in das Bad, und kühlte mich ab, und schwamm mich müde in dem Fluß, darauf erstieg ich den Elsberg, und legte mich da unter einen duftenden Nußbaum, der Länge lang ins Gras, wo ich bald süß einschlief. Es dämmerte kaum ein wenig, als ich mich hinlegte, und als ich erwachte, mit dem herrlichen Wohlseyn das einem das Flußbad und die Bergluft giebt -- Gott! -- wer das sagen könnte! Eben gieng die Sonne auf. Jeder Ausdruck ist da Stümper Pinselei. Aus mir riefs laut: Lobt den Herrn! und so sang ich das ganze hohe Lied nach der herr-
Gestern schlugs 12 Uhr als ich bei Jhr war. Nun laß uns einmal, sagte Sie, von heute bis morgen kuͤssen! Und so hieng ich, bis alle Schlaͤge geschehen waren, in einem Kuß an ihr. Ach! die Begierde wollte mir die Kehle zuschnuͤren, und noch treibt die Jdee, von heute bis morgen Sie kuͤssen, Sie genießen, das Blut wie Feuer durch meine Adern. O Maͤdchen! Maͤdchen! am 4. Junius. Jch konnte diese Nacht nicht schlafen, es ward mir so heiß, so ungeduldig im Bett, ich stand also, es mochte etwa 2 Uhr seyn, auf und gieng in das Bad, und kuͤhlte mich ab, und schwamm mich muͤde in dem Fluß, darauf erstieg ich den Elsberg, und legte mich da unter einen duftenden Nußbaum, der Laͤnge lang ins Gras, wo ich bald suͤß einschlief. Es daͤmmerte kaum ein wenig, als ich mich hinlegte, und als ich erwachte, mit dem herrlichen Wohlseyn das einem das Flußbad und die Bergluft giebt — Gott! — wer das sagen koͤnnte! Eben gieng die Sonne auf. Jeder Ausdruck ist da Stuͤmper Pinselei. Aus mir riefs laut: Lobt den Herrn! und so sang ich das ganze hohe Lied nach der herr- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0089" n="89"/><lb/> diese <choice><corr>Variete,</corr><sic>Vairete,</sic></choice> dies Gefuͤhl, diese Schwaͤrmerei, und dann diese entzuͤckende Koketterie, die Sie mir so begehrenswerth macht, ist mir eine Quelle ewiger Unruhe.</p> <p>Gestern schlugs 12 Uhr als ich bei Jhr war. Nun laß uns einmal, sagte Sie, von heute bis morgen kuͤssen! Und so hieng ich, bis alle Schlaͤge geschehen waren, in einem Kuß an ihr. Ach! die Begierde wollte mir die Kehle zuschnuͤren, und noch treibt die Jdee, von heute bis morgen Sie kuͤssen, Sie genießen, das Blut wie Feuer durch meine Adern. O Maͤdchen! Maͤdchen!</p> </div> <div n="4"> <opener> <dateline> <hi rendition="#right">am 4. Junius.</hi> </dateline> </opener> <p>Jch konnte diese Nacht nicht schlafen, es ward mir so heiß, so ungeduldig im Bett, ich stand also, es mochte etwa 2 Uhr seyn, auf und gieng in das Bad, und kuͤhlte mich ab, und schwamm mich muͤde in <choice><corr>dem</corr><sic>den</sic></choice> Fluß, darauf erstieg ich den Elsberg, und legte mich da unter einen duftenden Nußbaum, der Laͤnge lang ins Gras, wo ich bald suͤß einschlief. Es daͤmmerte kaum ein wenig, als ich mich hinlegte, und als ich erwachte, mit dem herrlichen Wohlseyn das einem das Flußbad und die Bergluft giebt — Gott! — wer das sagen koͤnnte! Eben gieng die Sonne auf. Jeder Ausdruck ist da Stuͤmper Pinselei. Aus mir riefs laut: Lobt den Herrn! und so sang ich das ganze hohe Lied nach der herr-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [89/0089]
diese Variete, dies Gefuͤhl, diese Schwaͤrmerei, und dann diese entzuͤckende Koketterie, die Sie mir so begehrenswerth macht, ist mir eine Quelle ewiger Unruhe.
Gestern schlugs 12 Uhr als ich bei Jhr war. Nun laß uns einmal, sagte Sie, von heute bis morgen kuͤssen! Und so hieng ich, bis alle Schlaͤge geschehen waren, in einem Kuß an ihr. Ach! die Begierde wollte mir die Kehle zuschnuͤren, und noch treibt die Jdee, von heute bis morgen Sie kuͤssen, Sie genießen, das Blut wie Feuer durch meine Adern. O Maͤdchen! Maͤdchen!
am 4. Junius. Jch konnte diese Nacht nicht schlafen, es ward mir so heiß, so ungeduldig im Bett, ich stand also, es mochte etwa 2 Uhr seyn, auf und gieng in das Bad, und kuͤhlte mich ab, und schwamm mich muͤde in dem Fluß, darauf erstieg ich den Elsberg, und legte mich da unter einen duftenden Nußbaum, der Laͤnge lang ins Gras, wo ich bald suͤß einschlief. Es daͤmmerte kaum ein wenig, als ich mich hinlegte, und als ich erwachte, mit dem herrlichen Wohlseyn das einem das Flußbad und die Bergluft giebt — Gott! — wer das sagen koͤnnte! Eben gieng die Sonne auf. Jeder Ausdruck ist da Stuͤmper Pinselei. Aus mir riefs laut: Lobt den Herrn! und so sang ich das ganze hohe Lied nach der herr-
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