Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 3. Berlin, 1793.Nach einiger Zeit gesellte sich noch ein anderer Zufall dazu, der ihr mehr als funfzigmal begegnete. Jm Anfange und Ende desselben hatte sie die vorige Unbeweglichkeit und Unempfindlichkeit, aber die Zwischenzeit, welche zuweilen vom Morgen bis an den Abend währte, konnte, im Gegensatz der vorigen Erstarrung, eine Belebung heißen. Sie erstarrte nehmlich wie sonst, fünf oder sechs Minuten, nachher fieng sie an zu gähnen, richtete sich im Bette auf zum Sitzen, nachher redete sie mit einer Lebhaftigkeit und Munterkeit des Geistes, die sie außer diesem Zufalle nicht hatte, und was sie redete, hing mit dem zusammen, was sie im vorigen Zufalle geredet hatte, oder sie wiederholte von Wort zu Wort eine Catechismuslehre, die sie des Abends vorher gehört hatte, und deutete unter verdeckten Namen mit offenen Augen, die Sittenlehren zuweilen schalkhaft, so wie sie den vorigen Abend gethan hatte. Doch wachte sie dabei nicht; wie man sich durch viele Versuche davon versichern konnte, und empfand nichts: fieng noch munterer und lebhafter zu reden an, lachte überlaut, bemühte sich aus dem Bette zu kommen, sprang endlich heraus, und machte ein Freudengeschrei, und wich dabei allen Gegenständen, die ihr im Wege standen, glücklich aus. Nachher kehrte sie wieder zu ihrem Bette, deckte sich zu, und erstarrte dann wieder, wie zu Anfange. Nach einiger Zeit gesellte sich noch ein anderer Zufall dazu, der ihr mehr als funfzigmal begegnete. Jm Anfange und Ende desselben hatte sie die vorige Unbeweglichkeit und Unempfindlichkeit, aber die Zwischenzeit, welche zuweilen vom Morgen bis an den Abend waͤhrte, konnte, im Gegensatz der vorigen Erstarrung, eine Belebung heißen. Sie erstarrte nehmlich wie sonst, fuͤnf oder sechs Minuten, nachher fieng sie an zu gaͤhnen, richtete sich im Bette auf zum Sitzen, nachher redete sie mit einer Lebhaftigkeit und Munterkeit des Geistes, die sie außer diesem Zufalle nicht hatte, und was sie redete, hing mit dem zusammen, was sie im vorigen Zufalle geredet hatte, oder sie wiederholte von Wort zu Wort eine Catechismuslehre, die sie des Abends vorher gehoͤrt hatte, und deutete unter verdeckten Namen mit offenen Augen, die Sittenlehren zuweilen schalkhaft, so wie sie den vorigen Abend gethan hatte. Doch wachte sie dabei nicht; wie man sich durch viele Versuche davon versichern konnte, und empfand nichts: fieng noch munterer und lebhafter zu reden an, lachte uͤberlaut, bemuͤhte sich aus dem Bette zu kommen, sprang endlich heraus, und machte ein Freudengeschrei, und wich dabei allen Gegenstaͤnden, die ihr im Wege standen, gluͤcklich aus. Nachher kehrte sie wieder zu ihrem Bette, deckte sich zu, und erstarrte dann wieder, wie zu Anfange. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0102" n="102"/><lb/> <p>Nach einiger Zeit gesellte sich noch ein anderer Zufall dazu, der ihr mehr als funfzigmal begegnete.</p> <p>Jm Anfange und Ende desselben hatte sie die vorige Unbeweglichkeit und Unempfindlichkeit, aber die Zwischenzeit, welche zuweilen vom Morgen bis an den Abend waͤhrte, konnte, im Gegensatz der vorigen <hi rendition="#b">Erstarrung,</hi> eine <hi rendition="#b">Belebung</hi> heißen. Sie erstarrte nehmlich wie sonst, fuͤnf oder sechs Minuten, nachher fieng sie an zu gaͤhnen, richtete sich im Bette auf zum Sitzen, nachher redete sie mit einer Lebhaftigkeit und Munterkeit des Geistes, die sie außer diesem Zufalle nicht hatte, und was sie redete, hing mit dem zusammen, was sie im vorigen Zufalle geredet hatte, oder sie wiederholte von Wort zu Wort eine Catechismuslehre, die sie des Abends vorher gehoͤrt hatte, und deutete unter verdeckten Namen mit offenen Augen, die Sittenlehren zuweilen schalkhaft, so wie sie den vorigen Abend gethan hatte.</p> <p>Doch <hi rendition="#b">wachte</hi> sie dabei nicht; wie man sich durch viele Versuche davon versichern konnte, und empfand nichts: fieng noch munterer und lebhafter zu reden an, lachte uͤberlaut, bemuͤhte sich aus dem Bette zu kommen, sprang endlich heraus, und machte ein Freudengeschrei, und wich dabei allen Gegenstaͤnden, die ihr im Wege standen, gluͤcklich aus. Nachher kehrte sie wieder zu ihrem Bette, deckte sich zu, und erstarrte dann wieder, wie zu Anfange.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [102/0102]
Nach einiger Zeit gesellte sich noch ein anderer Zufall dazu, der ihr mehr als funfzigmal begegnete.
Jm Anfange und Ende desselben hatte sie die vorige Unbeweglichkeit und Unempfindlichkeit, aber die Zwischenzeit, welche zuweilen vom Morgen bis an den Abend waͤhrte, konnte, im Gegensatz der vorigen Erstarrung, eine Belebung heißen. Sie erstarrte nehmlich wie sonst, fuͤnf oder sechs Minuten, nachher fieng sie an zu gaͤhnen, richtete sich im Bette auf zum Sitzen, nachher redete sie mit einer Lebhaftigkeit und Munterkeit des Geistes, die sie außer diesem Zufalle nicht hatte, und was sie redete, hing mit dem zusammen, was sie im vorigen Zufalle geredet hatte, oder sie wiederholte von Wort zu Wort eine Catechismuslehre, die sie des Abends vorher gehoͤrt hatte, und deutete unter verdeckten Namen mit offenen Augen, die Sittenlehren zuweilen schalkhaft, so wie sie den vorigen Abend gethan hatte.
Doch wachte sie dabei nicht; wie man sich durch viele Versuche davon versichern konnte, und empfand nichts: fieng noch munterer und lebhafter zu reden an, lachte uͤberlaut, bemuͤhte sich aus dem Bette zu kommen, sprang endlich heraus, und machte ein Freudengeschrei, und wich dabei allen Gegenstaͤnden, die ihr im Wege standen, gluͤcklich aus. Nachher kehrte sie wieder zu ihrem Bette, deckte sich zu, und erstarrte dann wieder, wie zu Anfange.
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