Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 3. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite

Anmerkung.

Jn Abstrakto kann freilich Laster von Schwäche auf diese Art unterschieden werden. Jn Konkreto aber lassen sie sich in den mehresten Fällen sehr schwer von einander unterscheiden. Laster im Allgemeinen kann als eine freiwillige Aufhebung des freien Willens erklärt werden. Je öfter eine lasterhafte Handlung begangen wird, um desto weniger wird auch der Willen frei, sie in der Zukunft zu vermeiden. Die Freiheit des Willens nimmt, in Beziehung auf diese Handlung, mit ihrer Wiederholung beständig ab. Die Handlung wird mit der Wiederholung weniger, die handelnde Person aber mehr, lasterhaft, weil die Handlung mit jeder Wiederholung weniger frei ist, die handelnde Person aber eben wegen der freiwilligen Verminderung der Freiheit desto lasterhafter. --

S. M.


58-62.

Ein junger Geistlicher war ein Nachtwandler, stand des Nachts vom Bette auf, nahm Papier, und arbeitete geistliche Reden aus, die er zugleich aufschrieb. Wenn er eine Seite geendigt hat, las er sie von oben bis unten noch einmal laut her (mit zugeschlossenen Augen.) Wenn ihm eine Stelle in seiner Ausarbeitung nicht gefiel, so strich er sie aus, und schrieb die Verbesserung darüber.


Anmerkung.

Jn Abstrakto kann freilich Laster von Schwaͤche auf diese Art unterschieden werden. Jn Konkreto aber lassen sie sich in den mehresten Faͤllen sehr schwer von einander unterscheiden. Laster im Allgemeinen kann als eine freiwillige Aufhebung des freien Willens erklaͤrt werden. Je oͤfter eine lasterhafte Handlung begangen wird, um desto weniger wird auch der Willen frei, sie in der Zukunft zu vermeiden. Die Freiheit des Willens nimmt, in Beziehung auf diese Handlung, mit ihrer Wiederholung bestaͤndig ab. Die Handlung wird mit der Wiederholung weniger, die handelnde Person aber mehr, lasterhaft, weil die Handlung mit jeder Wiederholung weniger frei ist, die handelnde Person aber eben wegen der freiwilligen Verminderung der Freiheit desto lasterhafter. —

S. M.


58-62.

Ein junger Geistlicher war ein Nachtwandler, stand des Nachts vom Bette auf, nahm Papier, und arbeitete geistliche Reden aus, die er zugleich aufschrieb. Wenn er eine Seite geendigt hat, las er sie von oben bis unten noch einmal laut her (mit zugeschlossenen Augen.) Wenn ihm eine Stelle in seiner Ausarbeitung nicht gefiel, so strich er sie aus, und schrieb die Verbesserung daruͤber.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0099" n="99"/><lb/>
            <div n="4">
              <head>Anmerkung.</head><lb/>
              <p>Jn <hi rendition="#b">Abstrakto</hi> kann freilich <hi rendition="#b">Laster</hi> von <hi rendition="#b">Schwa&#x0364;che</hi> auf diese Art unterschieden werden. Jn <hi rendition="#b">Konkreto</hi> aber lassen sie sich in den mehresten                         Fa&#x0364;llen sehr schwer von einander unterscheiden. <hi rendition="#b">Laster</hi> im Allgemeinen kann als <hi rendition="#b">eine                             freiwillige Aufhebung des freien Willens</hi> erkla&#x0364;rt werden. Je o&#x0364;fter                         eine lasterhafte Handlung begangen wird, um desto weniger wird auch der                         Willen frei, sie in der Zukunft zu vermeiden. Die Freiheit des Willens                         nimmt, in Beziehung auf diese Handlung, mit ihrer Wiederholung besta&#x0364;ndig ab.                         Die <hi rendition="#b">Handlung</hi> wird mit der Wiederholung weniger, die                         handelnde <hi rendition="#b">Person</hi> aber mehr, lasterhaft, weil die                         Handlung mit jeder Wiederholung weniger frei ist, die handelnde Person aber                         eben wegen der freiwilligen Verminderung der Freiheit desto lasterhafter.                         &#x2014;</p>
              <p rendition="#right"> <hi rendition="#b">
                  <persName ref="#ref0003"><note type="editorial">Maimon, Salomon</note>S. M.</persName>
                </hi> </p>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            </div>
          </div>
          <div n="3">
            <head>58-62.</head><lb/>
            <p>Ein junger Geistlicher war ein                         Nachtwandler, stand des Nachts vom Bette auf, nahm Papier, und arbeitete                         geistliche Reden aus, die er zugleich aufschrieb. Wenn er eine Seite                         geendigt hat, las er sie von oben bis unten noch einmal laut her (mit                         zugeschlossenen Augen.) Wenn ihm eine Stelle in seiner Ausarbeitung nicht                         gefiel, so strich er sie aus, und schrieb die Verbesserung daru&#x0364;ber.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[99/0099] Anmerkung. Jn Abstrakto kann freilich Laster von Schwaͤche auf diese Art unterschieden werden. Jn Konkreto aber lassen sie sich in den mehresten Faͤllen sehr schwer von einander unterscheiden. Laster im Allgemeinen kann als eine freiwillige Aufhebung des freien Willens erklaͤrt werden. Je oͤfter eine lasterhafte Handlung begangen wird, um desto weniger wird auch der Willen frei, sie in der Zukunft zu vermeiden. Die Freiheit des Willens nimmt, in Beziehung auf diese Handlung, mit ihrer Wiederholung bestaͤndig ab. Die Handlung wird mit der Wiederholung weniger, die handelnde Person aber mehr, lasterhaft, weil die Handlung mit jeder Wiederholung weniger frei ist, die handelnde Person aber eben wegen der freiwilligen Verminderung der Freiheit desto lasterhafter. — S. M. 58-62. Ein junger Geistlicher war ein Nachtwandler, stand des Nachts vom Bette auf, nahm Papier, und arbeitete geistliche Reden aus, die er zugleich aufschrieb. Wenn er eine Seite geendigt hat, las er sie von oben bis unten noch einmal laut her (mit zugeschlossenen Augen.) Wenn ihm eine Stelle in seiner Ausarbeitung nicht gefiel, so strich er sie aus, und schrieb die Verbesserung daruͤber.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, University of Glasgow, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01003_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01003_1793/99
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 3. Berlin, 1793, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01003_1793/99>, abgerufen am 22.12.2024.