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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783.

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Glas Wasser, das auf dem Tische stand, weiter nicht das mindeste, was zu den Bedürfnissen oder Bequemlichkeiten des Lebens gehört. Der Kranke lag in einem sehr schmutzigen Hemde im Bette.

Herr Mendelssohn gab sich erst für einen pohlnischen Arzt aus, welcher seine Kunst auszuüben hieher gereißt sey; allein der Kranke wollte nichts weder von einem Arzt, noch von irgend einiger Hülfe, die bei ihm möglich wäre, wissen. Endlich errieth er, wer der Unbekannte sey, und fragte ihn: sind Sie nicht Mendelssohn? Dieser bejahte es, indem er ihm zugleich die Hand gab, wobei er die Hand des Kranken heiß und brennend, und doch gewissermaßen wie erstorben in der seinigen fühlte.

Nun wollte der Kranke anfangen, über allerlei Materien mit Herrn Mendelssohn zu disputiren, fand sich aber zu schwach zum Reden. Herr Mendelssohn nutzte diese Gelegenheit, indem er ihm freundschaftlich zuredete: er möchte sich durch den Genuß von etwas Speise erst so weit wieder erhohlen, daß er anhaltend reden könnte; jetzt stiege ihm bei jedem Worte, das er sagte, eine schreckliche Röthe ins Gesicht, die seine ausserordentliche Mattigkeit anzeigte; sobald er wieder dazu fähig sey, wolle Herr Mendelssohn gern Stundenlang mit ihm disputiren, und wenn er ihn gleich einmal überwunden, von vorne wieder mit ihm anfangen.



Glas Wasser, das auf dem Tische stand, weiter nicht das mindeste, was zu den Beduͤrfnissen oder Bequemlichkeiten des Lebens gehoͤrt. Der Kranke lag in einem sehr schmutzigen Hemde im Bette.

Herr Mendelssohn gab sich erst fuͤr einen pohlnischen Arzt aus, welcher seine Kunst auszuuͤben hieher gereißt sey; allein der Kranke wollte nichts weder von einem Arzt, noch von irgend einiger Huͤlfe, die bei ihm moͤglich waͤre, wissen. Endlich errieth er, wer der Unbekannte sey, und fragte ihn: sind Sie nicht Mendelssohn? Dieser bejahte es, indem er ihm zugleich die Hand gab, wobei er die Hand des Kranken heiß und brennend, und doch gewissermaßen wie erstorben in der seinigen fuͤhlte.

Nun wollte der Kranke anfangen, uͤber allerlei Materien mit Herrn Mendelssohn zu disputiren, fand sich aber zu schwach zum Reden. Herr Mendelssohn nutzte diese Gelegenheit, indem er ihm freundschaftlich zuredete: er moͤchte sich durch den Genuß von etwas Speise erst so weit wieder erhohlen, daß er anhaltend reden koͤnnte; jetzt stiege ihm bei jedem Worte, das er sagte, eine schreckliche Roͤthe ins Gesicht, die seine ausserordentliche Mattigkeit anzeigte; sobald er wieder dazu faͤhig sey, wolle Herr Mendelssohn gern Stundenlang mit ihm disputiren, und wenn er ihn gleich einmal uͤberwunden, von vorne wieder mit ihm anfangen.


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[23/0027] Glas Wasser, das auf dem Tische stand, weiter nicht das mindeste, was zu den Beduͤrfnissen oder Bequemlichkeiten des Lebens gehoͤrt. Der Kranke lag in einem sehr schmutzigen Hemde im Bette. Herr Mendelssohn gab sich erst fuͤr einen pohlnischen Arzt aus, welcher seine Kunst auszuuͤben hieher gereißt sey; allein der Kranke wollte nichts weder von einem Arzt, noch von irgend einiger Huͤlfe, die bei ihm moͤglich waͤre, wissen. Endlich errieth er, wer der Unbekannte sey, und fragte ihn: sind Sie nicht Mendelssohn? Dieser bejahte es, indem er ihm zugleich die Hand gab, wobei er die Hand des Kranken heiß und brennend, und doch gewissermaßen wie erstorben in der seinigen fuͤhlte. Nun wollte der Kranke anfangen, uͤber allerlei Materien mit Herrn Mendelssohn zu disputiren, fand sich aber zu schwach zum Reden. Herr Mendelssohn nutzte diese Gelegenheit, indem er ihm freundschaftlich zuredete: er moͤchte sich durch den Genuß von etwas Speise erst so weit wieder erhohlen, daß er anhaltend reden koͤnnte; jetzt stiege ihm bei jedem Worte, das er sagte, eine schreckliche Roͤthe ins Gesicht, die seine ausserordentliche Mattigkeit anzeigte; sobald er wieder dazu faͤhig sey, wolle Herr Mendelssohn gern Stundenlang mit ihm disputiren, und wenn er ihn gleich einmal uͤberwunden, von vorne wieder mit ihm anfangen.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783/27>, abgerufen am 21.11.2024.