Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783.Den 26sten des Morgens stellte sich nach dem Stuhlgang die gestrige Entkräftung ein, der Wein hob sie. Meine Arzeney des Tages über, waren starke Doses Kampherpulver. So weit reicht die erste Epoche meiner Krankheit, während welcher die Malignität von allen meinen Aerzten einstimmig erkannt wurde, alle einstimmig mich aufgaben, ich mein völliges Bewußtseyn und den Gebrauch meiner Seelenkräfte hatte; von welcher ganzer sieben Tage daurenden Epoche ich von meiner nachherigen Genesung an, noch bis jetzo mir nicht das allermindeste zu erinnern weiß. Diese Tage sind gleichsam aus dem Tageregister meines Lebens gänzlich verloschen, obschon wie man mir sagt, ich diese ganze Zeit über eine Menge Besuche von guten Freunden hatte, mit denen ich Stundenlang mich unterhielt, und von meinem bevorstehenden Tode gesetzt und ruhig sprach. Was ich Jhnen bis jetzo davon gesagt, ist bloß Erzählung meiner Aerzte und Freunde. Des Abends, von da sich die zweite Epoche meiner Krankheit anfing, änderte sich die Scene. Anstatt daß ich bis dahin mit völligem Bewußtseyn und vollständigem Gebrauch meiner Vernunft, bloß über körperliche Schmerzen, Ermattung und Unruhe klagend, lag; verloren sich jetzo alle diese Gefühle. Jch fühlte mich stark und schmerzlos, aber meine Seele bekam einen Stoß aus dem wirklichen Zusammenhang der Dinge. Die wahren Gegen- Den 26sten des Morgens stellte sich nach dem Stuhlgang die gestrige Entkraͤftung ein, der Wein hob sie. Meine Arzeney des Tages uͤber, waren starke Doses Kampherpulver. So weit reicht die erste Epoche meiner Krankheit, waͤhrend welcher die Malignitaͤt von allen meinen Aerzten einstimmig erkannt wurde, alle einstimmig mich aufgaben, ich mein voͤlliges Bewußtseyn und den Gebrauch meiner Seelenkraͤfte hatte; von welcher ganzer sieben Tage daurenden Epoche ich von meiner nachherigen Genesung an, noch bis jetzo mir nicht das allermindeste zu erinnern weiß. Diese Tage sind gleichsam aus dem Tageregister meines Lebens gaͤnzlich verloschen, obschon wie man mir sagt, ich diese ganze Zeit uͤber eine Menge Besuche von guten Freunden hatte, mit denen ich Stundenlang mich unterhielt, und von meinem bevorstehenden Tode gesetzt und ruhig sprach. Was ich Jhnen bis jetzo davon gesagt, ist bloß Erzaͤhlung meiner Aerzte und Freunde. Des Abends, von da sich die zweite Epoche meiner Krankheit anfing, aͤnderte sich die Scene. Anstatt daß ich bis dahin mit voͤlligem Bewußtseyn und vollstaͤndigem Gebrauch meiner Vernunft, bloß uͤber koͤrperliche Schmerzen, Ermattung und Unruhe klagend, lag; verloren sich jetzo alle diese Gefuͤhle. Jch fuͤhlte mich stark und schmerzlos, aber meine Seele bekam einen Stoß aus dem wirklichen Zusammenhang der Dinge. Die wahren Gegen- <TEI> <text> <body> <div> <div> <pb facs="#f0057" n="53"/><lb/> <p>Den 26sten des Morgens stellte sich nach dem Stuhlgang die gestrige Entkraͤftung ein, der Wein hob sie. Meine Arzeney des Tages uͤber, waren starke Doses Kampherpulver. </p> <p>So weit reicht die erste Epoche meiner Krankheit, waͤhrend welcher die Malignitaͤt von allen meinen Aerzten einstimmig erkannt wurde, alle einstimmig mich aufgaben, ich mein voͤlliges Bewußtseyn und den Gebrauch meiner Seelenkraͤfte hatte; von welcher ganzer sieben Tage daurenden Epoche ich von meiner nachherigen Genesung an, noch bis jetzo mir nicht das allermindeste zu erinnern weiß. Diese Tage sind gleichsam aus dem Tageregister meines Lebens gaͤnzlich verloschen, obschon wie man mir sagt, ich diese ganze Zeit uͤber eine Menge Besuche von guten Freunden hatte, mit denen ich Stundenlang mich unterhielt, und von meinem bevorstehenden Tode gesetzt und ruhig sprach. Was ich Jhnen bis jetzo davon gesagt, ist bloß Erzaͤhlung meiner Aerzte und Freunde. </p> <p>Des Abends, von da sich die zweite Epoche meiner Krankheit anfing, aͤnderte sich die Scene. Anstatt daß ich bis dahin mit voͤlligem Bewußtseyn und vollstaͤndigem Gebrauch meiner Vernunft, bloß uͤber koͤrperliche Schmerzen, Ermattung und Unruhe klagend, lag; verloren sich jetzo alle diese Gefuͤhle. Jch fuͤhlte mich stark und schmerzlos, aber meine Seele bekam einen Stoß aus dem wirklichen Zusammenhang der Dinge. Die wahren Gegen-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [53/0057]
Den 26sten des Morgens stellte sich nach dem Stuhlgang die gestrige Entkraͤftung ein, der Wein hob sie. Meine Arzeney des Tages uͤber, waren starke Doses Kampherpulver.
So weit reicht die erste Epoche meiner Krankheit, waͤhrend welcher die Malignitaͤt von allen meinen Aerzten einstimmig erkannt wurde, alle einstimmig mich aufgaben, ich mein voͤlliges Bewußtseyn und den Gebrauch meiner Seelenkraͤfte hatte; von welcher ganzer sieben Tage daurenden Epoche ich von meiner nachherigen Genesung an, noch bis jetzo mir nicht das allermindeste zu erinnern weiß. Diese Tage sind gleichsam aus dem Tageregister meines Lebens gaͤnzlich verloschen, obschon wie man mir sagt, ich diese ganze Zeit uͤber eine Menge Besuche von guten Freunden hatte, mit denen ich Stundenlang mich unterhielt, und von meinem bevorstehenden Tode gesetzt und ruhig sprach. Was ich Jhnen bis jetzo davon gesagt, ist bloß Erzaͤhlung meiner Aerzte und Freunde.
Des Abends, von da sich die zweite Epoche meiner Krankheit anfing, aͤnderte sich die Scene. Anstatt daß ich bis dahin mit voͤlligem Bewußtseyn und vollstaͤndigem Gebrauch meiner Vernunft, bloß uͤber koͤrperliche Schmerzen, Ermattung und Unruhe klagend, lag; verloren sich jetzo alle diese Gefuͤhle. Jch fuͤhlte mich stark und schmerzlos, aber meine Seele bekam einen Stoß aus dem wirklichen Zusammenhang der Dinge. Die wahren Gegen-
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783/57>, abgerufen am 27.07.2024. |