Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783.
Alles dieses waren Vorbothen der darauf folgenden Nacht. Es überfiel mich in derselben eine ungemeine Schwäche, darauf folgten unwillkührliche stinkende Stuhlgänge; mein Bewußtseyn entwich; mein Puls verschwand; meine Augen verdrehten sich; ein kalter Schweiß bedeckte mich; ich schnarchte, röchelte, las Federn, zupfte an der Bettdecke, war steif, ungelenkig: ich befand mich in der wahren Agonie, der Vorstadt der Zukunft. Meine wachende Freunde waren in der äussersten Bestürzung, einige liefen zu meinem Arzt S.., um ihn herbei zu rufen. Als sie ihm aber meinen Zustand erzählten, so wollte er nicht mehr kommen, er, der sonst unverdrossen Tag und Nacht fast alle zwei Stunden bei mir war. Jch kann da nichts mehr machen, die Kunst ist da zu Ende, sagte er, gehn Sie hin zu seinem Schwiegervater und lassen ihn die jüdischen Sterbeceremonien verrichten; und sie gingen und vollführten diesen Auftrag, es war Nachts um zwei Uhr, kamen bei meinem verehrungs- und
Alles dieses waren Vorbothen der darauf folgenden Nacht. Es uͤberfiel mich in derselben eine ungemeine Schwaͤche, darauf folgten unwillkuͤhrliche stinkende Stuhlgaͤnge; mein Bewußtseyn entwich; mein Puls verschwand; meine Augen verdrehten sich; ein kalter Schweiß bedeckte mich; ich schnarchte, roͤchelte, las Federn, zupfte an der Bettdecke, war steif, ungelenkig: ich befand mich in der wahren Agonie, der Vorstadt der Zukunft. Meine wachende Freunde waren in der aͤussersten Bestuͤrzung, einige liefen zu meinem Arzt S.., um ihn herbei zu rufen. Als sie ihm aber meinen Zustand erzaͤhlten, so wollte er nicht mehr kommen, er, der sonst unverdrossen Tag und Nacht fast alle zwei Stunden bei mir war. Jch kann da nichts mehr machen, die Kunst ist da zu Ende, sagte er, gehn Sie hin zu seinem Schwiegervater und lassen ihn die juͤdischen Sterbeceremonien verrichten; und sie gingen und vollfuͤhrten diesen Auftrag, es war Nachts um zwei Uhr, kamen bei meinem verehrungs- und <TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0068" n="64"/><lb/> schrieb ich meinem Freund V.. in die Hand: <hi rendition="#b">Paß.</hi> Man konnte Anfangs meinen Gedanken nicht errathen, bis ich durch Mienen es erklaͤrte, daß er mir den Paß unterschreiben sollte; wohl verstanden, dies geschahe scherzweise, und aus einer Art von Uebermuth, weil ich mich meinem Ziele so nahe fuͤhlte. Dieser Zustand hielt einige Stunden an, und verlor sich auf den Gebrauch des Weines. </p> <p>Alles dieses waren Vorbothen der darauf folgenden Nacht. Es uͤberfiel mich in derselben eine ungemeine Schwaͤche, darauf folgten unwillkuͤhrliche stinkende Stuhlgaͤnge; mein Bewußtseyn entwich; mein Puls verschwand; meine Augen verdrehten sich; ein kalter Schweiß bedeckte mich; ich schnarchte, roͤchelte, las Federn, zupfte an der Bettdecke, war steif, ungelenkig: ich befand mich in der wahren Agonie, der Vorstadt der Zukunft. Meine wachende Freunde waren in der aͤussersten Bestuͤrzung, einige liefen zu meinem Arzt S.., um ihn herbei zu rufen. Als sie ihm aber meinen Zustand erzaͤhlten, so wollte er nicht mehr kommen, er, der sonst unverdrossen Tag und Nacht fast alle zwei Stunden bei mir war. <hi rendition="#b">Jch kann da nichts mehr machen, die Kunst ist da zu Ende,</hi> sagte er, <hi rendition="#b">gehn Sie hin zu seinem Schwiegervater und lassen ihn die juͤdischen Sterbeceremonien verrichten;</hi> und sie gingen und vollfuͤhrten diesen Auftrag, es war Nachts um zwei Uhr, kamen bei meinem verehrungs- und<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [64/0068]
schrieb ich meinem Freund V.. in die Hand: Paß. Man konnte Anfangs meinen Gedanken nicht errathen, bis ich durch Mienen es erklaͤrte, daß er mir den Paß unterschreiben sollte; wohl verstanden, dies geschahe scherzweise, und aus einer Art von Uebermuth, weil ich mich meinem Ziele so nahe fuͤhlte. Dieser Zustand hielt einige Stunden an, und verlor sich auf den Gebrauch des Weines.
Alles dieses waren Vorbothen der darauf folgenden Nacht. Es uͤberfiel mich in derselben eine ungemeine Schwaͤche, darauf folgten unwillkuͤhrliche stinkende Stuhlgaͤnge; mein Bewußtseyn entwich; mein Puls verschwand; meine Augen verdrehten sich; ein kalter Schweiß bedeckte mich; ich schnarchte, roͤchelte, las Federn, zupfte an der Bettdecke, war steif, ungelenkig: ich befand mich in der wahren Agonie, der Vorstadt der Zukunft. Meine wachende Freunde waren in der aͤussersten Bestuͤrzung, einige liefen zu meinem Arzt S.., um ihn herbei zu rufen. Als sie ihm aber meinen Zustand erzaͤhlten, so wollte er nicht mehr kommen, er, der sonst unverdrossen Tag und Nacht fast alle zwei Stunden bei mir war. Jch kann da nichts mehr machen, die Kunst ist da zu Ende, sagte er, gehn Sie hin zu seinem Schwiegervater und lassen ihn die juͤdischen Sterbeceremonien verrichten; und sie gingen und vollfuͤhrten diesen Auftrag, es war Nachts um zwei Uhr, kamen bei meinem verehrungs- und
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783/68>, abgerufen am 27.07.2024. |