Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783.Die Eindrücke der gröbern Sinne sind unstreitig weit lebhafter und stärker, als die Empfindungen des Auges. Gleichwohl kann ich mich sehr weniger Empfindungen des Ohres, und gar keiner von den übrigen Sinnen aus meiner Kindheit erinnern. Keines einzigen Nahmens von Leuten, die ich in meiner Kindheit gekannt, erinnere ich mich unmittelbar. Doch besinne ich mich noch ziemlich deutlich auf die willkührlichen Unterscheidungsbenennungen, die die einzelnen Stuben und Kammern des Hauses und andere Theile der Gebäude hatten. Auch scheinen mir die Namen von ein paar eingepfarrten Dörfern, aus unmittelbarer Erinnerung noch im Gedächtniß zu seyn. Des Blöckens der Kühe, die einmal durch einquartierte Artillerie-Pferde aus ihren Ställen vertrieben wurden, und bei rauher Witterung unter freiem Himmel bleiben mußten, erinnere ich mich noch sehr lebhaft. Von andern Leuten habe ich gehört, daß die Musik in meiner Kindheit viel anziehendes für mich gehabt, daß ich Melodien gelernt, ehe ich vernehmlich reden konnte, aber aus eigener Erinnerung weiß ich nichts davon. Und doch haben die Empfindungen des Gehörs noch einen ziemlichen Grad von innerer Klarheit, oder Deutlichkeit, und bei mir vielleicht mehr als die Empfindungen des Auges. Der Grund, warum nur eine Gattung von Vorstellungen bei mir hängen geblieben, alle übrige Die Eindruͤcke der groͤbern Sinne sind unstreitig weit lebhafter und staͤrker, als die Empfindungen des Auges. Gleichwohl kann ich mich sehr weniger Empfindungen des Ohres, und gar keiner von den uͤbrigen Sinnen aus meiner Kindheit erinnern. Keines einzigen Nahmens von Leuten, die ich in meiner Kindheit gekannt, erinnere ich mich unmittelbar. Doch besinne ich mich noch ziemlich deutlich auf die willkuͤhrlichen Unterscheidungsbenennungen, die die einzelnen Stuben und Kammern des Hauses und andere Theile der Gebaͤude hatten. Auch scheinen mir die Namen von ein paar eingepfarrten Doͤrfern, aus unmittelbarer Erinnerung noch im Gedaͤchtniß zu seyn. Des Bloͤckens der Kuͤhe, die einmal durch einquartierte Artillerie-Pferde aus ihren Staͤllen vertrieben wurden, und bei rauher Witterung unter freiem Himmel bleiben mußten, erinnere ich mich noch sehr lebhaft. Von andern Leuten habe ich gehoͤrt, daß die Musik in meiner Kindheit viel anziehendes fuͤr mich gehabt, daß ich Melodien gelernt, ehe ich vernehmlich reden konnte, aber aus eigener Erinnerung weiß ich nichts davon. Und doch haben die Empfindungen des Gehoͤrs noch einen ziemlichen Grad von innerer Klarheit, oder Deutlichkeit, und bei mir vielleicht mehr als die Empfindungen des Auges. Der Grund, warum nur eine Gattung von Vorstellungen bei mir haͤngen geblieben, alle uͤbrige <TEI> <text> <body> <div> <div> <pb facs="#f0093" n="89"/><lb/> <p>Die Eindruͤcke der groͤbern Sinne sind unstreitig weit lebhafter und staͤrker, als die Empfindungen des Auges. Gleichwohl kann ich mich sehr weniger Empfindungen des Ohres, und gar keiner von den uͤbrigen Sinnen aus meiner Kindheit erinnern. Keines einzigen <hi rendition="#b">Nahmens</hi> von Leuten, die ich in meiner Kindheit gekannt, erinnere ich mich unmittelbar. Doch besinne ich mich noch ziemlich deutlich auf die willkuͤhrlichen Unterscheidungsbenennungen, die die einzelnen Stuben und Kammern des Hauses und andere Theile der Gebaͤude hatten. Auch scheinen mir die Namen von ein paar eingepfarrten Doͤrfern, aus unmittelbarer Erinnerung noch im Gedaͤchtniß zu seyn. Des <hi rendition="#b">Bloͤckens</hi> der Kuͤhe, die einmal durch einquartierte Artillerie-Pferde aus ihren Staͤllen vertrieben wurden, und bei rauher Witterung unter freiem Himmel bleiben mußten, erinnere ich mich noch sehr lebhaft. </p> <p>Von andern Leuten habe ich gehoͤrt, daß die Musik in meiner Kindheit viel anziehendes fuͤr mich gehabt, daß ich Melodien gelernt, ehe ich vernehmlich reden konnte, aber aus eigener Erinnerung weiß ich nichts davon. Und doch haben die Empfindungen des Gehoͤrs noch einen ziemlichen Grad von innerer Klarheit, oder Deutlichkeit, und bei mir vielleicht mehr als die Empfindungen des Auges. </p> <p>Der Grund, warum nur eine Gattung von Vorstellungen bei mir haͤngen geblieben, alle uͤbrige<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [89/0093]
Die Eindruͤcke der groͤbern Sinne sind unstreitig weit lebhafter und staͤrker, als die Empfindungen des Auges. Gleichwohl kann ich mich sehr weniger Empfindungen des Ohres, und gar keiner von den uͤbrigen Sinnen aus meiner Kindheit erinnern. Keines einzigen Nahmens von Leuten, die ich in meiner Kindheit gekannt, erinnere ich mich unmittelbar. Doch besinne ich mich noch ziemlich deutlich auf die willkuͤhrlichen Unterscheidungsbenennungen, die die einzelnen Stuben und Kammern des Hauses und andere Theile der Gebaͤude hatten. Auch scheinen mir die Namen von ein paar eingepfarrten Doͤrfern, aus unmittelbarer Erinnerung noch im Gedaͤchtniß zu seyn. Des Bloͤckens der Kuͤhe, die einmal durch einquartierte Artillerie-Pferde aus ihren Staͤllen vertrieben wurden, und bei rauher Witterung unter freiem Himmel bleiben mußten, erinnere ich mich noch sehr lebhaft.
Von andern Leuten habe ich gehoͤrt, daß die Musik in meiner Kindheit viel anziehendes fuͤr mich gehabt, daß ich Melodien gelernt, ehe ich vernehmlich reden konnte, aber aus eigener Erinnerung weiß ich nichts davon. Und doch haben die Empfindungen des Gehoͤrs noch einen ziemlichen Grad von innerer Klarheit, oder Deutlichkeit, und bei mir vielleicht mehr als die Empfindungen des Auges.
Der Grund, warum nur eine Gattung von Vorstellungen bei mir haͤngen geblieben, alle uͤbrige
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783/93>, abgerufen am 27.07.2024. |