Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite


ben dem Professor T. auf einen Stuhl. Professor T. überredete den Musikdirektor fortzufahren und endigte diesen Aufstand auf die glücklichste Weise. Alle diese Vorbereitungen machten, daß ihm der Gedanke an das Hallische Waisenhauß, wobei er sich sonst Sklaverei gedacht hatte, erträglich, ja sogar angenehm wurde. Er freuete sich, daß er aus den Verbindungen herauskäme, die ihn zuweilen noch genöthigt hatten, nach dem alten Begrif von Ehre zu handeln, und nahm sich vor, die renomistische Denkungsart, so wie er schon in Stettin gethan hatte, auch in Halle, wenn er sie finden sollte, zu verachten, sich blos einige Freunde zu erwählen, und wenn er auch diese nicht antreffen sollte, sich durch einen starken Briefwechsel mit dem Professor T. schadlos zu halten. Auf diese Art, glaubte er, würden die strengsten Gesetze seine Freiheit nicht einschränken können, weil er sich freiwillig bemühen wollte, nichts zu thun, was wider Wohlstand und Sittsamkeit wäre, und nur gegen Ausschweifende, glaubte er, könnten diese Gesetze gerichtet sein. Unter diesen beruhigenden Gedanken kam die Stunde heran, die ihn dem Genuße der Familienfreuden, die für ihn eben so süß und reizend als neu waren, entriß. Die ganze kleine Stadt hatte ihn lieb gewonnen, und die Trennung kostete ihm viel Thränen, besonders schwebte der Gedanke sehr lange vor seiner Seele, daß er diese Stadt nie wieder sehen würde. Seine Seele hatte also die


ben dem Professor T. auf einen Stuhl. Professor T. uͤberredete den Musikdirektor fortzufahren und endigte diesen Aufstand auf die gluͤcklichste Weise. Alle diese Vorbereitungen machten, daß ihm der Gedanke an das Hallische Waisenhauß, wobei er sich sonst Sklaverei gedacht hatte, ertraͤglich, ja sogar angenehm wurde. Er freuete sich, daß er aus den Verbindungen herauskaͤme, die ihn zuweilen noch genoͤthigt hatten, nach dem alten Begrif von Ehre zu handeln, und nahm sich vor, die renomistische Denkungsart, so wie er schon in Stettin gethan hatte, auch in Halle, wenn er sie finden sollte, zu verachten, sich blos einige Freunde zu erwaͤhlen, und wenn er auch diese nicht antreffen sollte, sich durch einen starken Briefwechsel mit dem Professor T. schadlos zu halten. Auf diese Art, glaubte er, wuͤrden die strengsten Gesetze seine Freiheit nicht einschraͤnken koͤnnen, weil er sich freiwillig bemuͤhen wollte, nichts zu thun, was wider Wohlstand und Sittsamkeit waͤre, und nur gegen Ausschweifende, glaubte er, koͤnnten diese Gesetze gerichtet sein. Unter diesen beruhigenden Gedanken kam die Stunde heran, die ihn dem Genuße der Familienfreuden, die fuͤr ihn eben so suͤß und reizend als neu waren, entriß. Die ganze kleine Stadt hatte ihn lieb gewonnen, und die Trennung kostete ihm viel Thraͤnen, besonders schwebte der Gedanke sehr lange vor seiner Seele, daß er diese Stadt nie wieder sehen wuͤrde. Seine Seele hatte also die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div>
          <p><pb facs="#f0011" n="7"/><lb/>
ben dem Professor T.                         auf einen Stuhl. Professor T. u&#x0364;berredete den Musikdirektor fortzufahren und                         endigte diesen Aufstand auf die glu&#x0364;cklichste Weise. Alle diese                         Vorbereitungen machten, daß ihm der Gedanke an das Hallische Waisenhauß,                         wobei er sich sonst Sklaverei gedacht hatte, ertra&#x0364;glich, ja sogar angenehm                         wurde. Er freuete sich, daß er aus den Verbindungen herauska&#x0364;me, die ihn                         zuweilen noch geno&#x0364;thigt hatten, nach dem alten Begrif von Ehre zu handeln,                         und nahm sich vor, die renomistische Denkungsart, so wie er schon in Stettin                         gethan hatte, auch in Halle, wenn er sie finden sollte, zu verachten, sich                         blos einige Freunde zu erwa&#x0364;hlen, und wenn er auch diese nicht antreffen                         sollte, sich durch einen starken Briefwechsel mit dem Professor T. schadlos                         zu halten. Auf diese Art, glaubte er, wu&#x0364;rden die strengsten Gesetze seine                         Freiheit nicht einschra&#x0364;nken ko&#x0364;nnen, weil er sich freiwillig bemu&#x0364;hen wollte,                         nichts zu thun, was wider Wohlstand und Sittsamkeit wa&#x0364;re, und nur gegen                         Ausschweifende, glaubte er, ko&#x0364;nnten diese Gesetze gerichtet sein. Unter                         diesen beruhigenden Gedanken kam die Stunde heran, die ihn dem Genuße der                         Familienfreuden, die fu&#x0364;r ihn eben so su&#x0364;ß und reizend als neu waren, entriß.                         Die ganze kleine Stadt hatte ihn lieb gewonnen, und die Trennung kostete ihm                         viel Thra&#x0364;nen, besonders schwebte der Gedanke sehr lange vor seiner Seele,                         daß er diese Stadt nie wieder sehen wu&#x0364;rde. Seine Seele hatte also die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0011] ben dem Professor T. auf einen Stuhl. Professor T. uͤberredete den Musikdirektor fortzufahren und endigte diesen Aufstand auf die gluͤcklichste Weise. Alle diese Vorbereitungen machten, daß ihm der Gedanke an das Hallische Waisenhauß, wobei er sich sonst Sklaverei gedacht hatte, ertraͤglich, ja sogar angenehm wurde. Er freuete sich, daß er aus den Verbindungen herauskaͤme, die ihn zuweilen noch genoͤthigt hatten, nach dem alten Begrif von Ehre zu handeln, und nahm sich vor, die renomistische Denkungsart, so wie er schon in Stettin gethan hatte, auch in Halle, wenn er sie finden sollte, zu verachten, sich blos einige Freunde zu erwaͤhlen, und wenn er auch diese nicht antreffen sollte, sich durch einen starken Briefwechsel mit dem Professor T. schadlos zu halten. Auf diese Art, glaubte er, wuͤrden die strengsten Gesetze seine Freiheit nicht einschraͤnken koͤnnen, weil er sich freiwillig bemuͤhen wollte, nichts zu thun, was wider Wohlstand und Sittsamkeit waͤre, und nur gegen Ausschweifende, glaubte er, koͤnnten diese Gesetze gerichtet sein. Unter diesen beruhigenden Gedanken kam die Stunde heran, die ihn dem Genuße der Familienfreuden, die fuͤr ihn eben so suͤß und reizend als neu waren, entriß. Die ganze kleine Stadt hatte ihn lieb gewonnen, und die Trennung kostete ihm viel Thraͤnen, besonders schwebte der Gedanke sehr lange vor seiner Seele, daß er diese Stadt nie wieder sehen wuͤrde. Seine Seele hatte also die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783/11
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783/11>, abgerufen am 23.11.2024.