Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783.
<TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0010" n="6"/><lb/> uͤber die Schaͤdlichkeit der allzuheftigen Leidenschaften, wußte seine Aufmerksamkeit durch eine Menge trauriger Beispiele so zu reizen, daß er nichts lieber hoͤrte, und sie mit dem groͤßten Ernst auf sich anwendete. Der liebenswuͤrdige sanfte Charakter seines Lehrers bezauberte ihn so, daß er es fuͤr die groͤßte Gluͤckseeligkeit hielt, ihm aͤhnlich zu werden. Auch hatte sich dieser Mann eine solche Gewalt uͤber ihn erworben, daß er durch einen einzigen sanften mitleidigen Blick mehr ausrichten konnte, als alle Bannstrahlen und Gefaͤngnisse. So besuchten sie zusammen ein Koncert, wo Robert mit Violin spielte. Er that einen falschen Grif, der Koncertmeister, der, wie viele Musiker, eigensinnig war, wurde hieruͤber verdruͤßlich und rief ganz laut: »O, wenn Sie nicht wollen Achtung geben, so spielen Sie lieber nicht mit!« Robert wurde uͤber diese Worte so wuͤthend, daß er in dem Augenblick die Violine mit der groͤßten Gewalt zur Erde warf und sie in tausend Stuͤcken zertrat. Die Musik hoͤrte auf, und er stuͤrzte wie ein Loͤwe auf den Musikdirektor zu, um ihn zu mißhandeln. Der Professor T. (es dauert mich, daß ich diesen wuͤrdigen Mann wegen der vielen Lokalumstaͤnde, die dadurch verrathen wuͤrden, nicht nennen darf) faßte ihn auf dem Wege bei der Hand, und sagte mit einem traurigen Tone: <hi rendition="#b">Robert!</hi> ― Wie kaltes Wasser auf ein gluͤhendes Eisen; so diese Worte. Er fing an zu zittern und sank sprachlos ne-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [6/0010]
uͤber die Schaͤdlichkeit der allzuheftigen Leidenschaften, wußte seine Aufmerksamkeit durch eine Menge trauriger Beispiele so zu reizen, daß er nichts lieber hoͤrte, und sie mit dem groͤßten Ernst auf sich anwendete. Der liebenswuͤrdige sanfte Charakter seines Lehrers bezauberte ihn so, daß er es fuͤr die groͤßte Gluͤckseeligkeit hielt, ihm aͤhnlich zu werden. Auch hatte sich dieser Mann eine solche Gewalt uͤber ihn erworben, daß er durch einen einzigen sanften mitleidigen Blick mehr ausrichten konnte, als alle Bannstrahlen und Gefaͤngnisse. So besuchten sie zusammen ein Koncert, wo Robert mit Violin spielte. Er that einen falschen Grif, der Koncertmeister, der, wie viele Musiker, eigensinnig war, wurde hieruͤber verdruͤßlich und rief ganz laut: »O, wenn Sie nicht wollen Achtung geben, so spielen Sie lieber nicht mit!« Robert wurde uͤber diese Worte so wuͤthend, daß er in dem Augenblick die Violine mit der groͤßten Gewalt zur Erde warf und sie in tausend Stuͤcken zertrat. Die Musik hoͤrte auf, und er stuͤrzte wie ein Loͤwe auf den Musikdirektor zu, um ihn zu mißhandeln. Der Professor T. (es dauert mich, daß ich diesen wuͤrdigen Mann wegen der vielen Lokalumstaͤnde, die dadurch verrathen wuͤrden, nicht nennen darf) faßte ihn auf dem Wege bei der Hand, und sagte mit einem traurigen Tone: Robert! ― Wie kaltes Wasser auf ein gluͤhendes Eisen; so diese Worte. Er fing an zu zittern und sank sprachlos ne-
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Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
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