Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783.
<TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0009" n="5"/><lb/> L..., der ihm alle Vortheile dieser Anstalt, die sie wirklich hat, sehr reizend vorzumahlen wußte, und die Thraͤnen seiner Mutter, die dies Haus wegen dem Rufe der Froͤmmigkeit vor allen schaͤtzte und sich die gewisse Hofnung machte, er wuͤrde hier sein hitziges stuͤrmisches Temperament ablegen, und als ein stiller und geduldiger Waisenhaͤuser in ihre Arme zuruͤckkehren; dieses brachte ihn so weit, daß er sich entschloß, sich alles gefallen zu lassen, was sie uͤber ihn beschließen wuͤrden. Die Briefe, die in diesen Angelegenheiten mußten nach Halle geschrieben werden, verzoͤgerten seine Abreise vier Wochen, und diese ruͤhmte er immer als die schoͤnsten seines Lebens. Der Tod seiner Tante hatte ihn in ein ernsthaftes Nachdenken versenkt und er hatte sich schon bei seinem letztern Auffenthalt in Stettin waͤhrend ihrer Krankheit von allen seinen Mitschuͤlern zuruͤckgezogen, ihre Gesinnungen schienen ihm zu leichtsinnig und zu jugendlich, denn wirklich machten diese haͤußlichen Vorfaͤlle, welche er sich sehr zu Herzen nahm, daß sein Verstand einige Jahre fruͤher maͤnnlich wurde. Hierzu trug auch ein Lehrer vieles bei, der zuletzt durch seine Verheirathung mit ihm verwandt wurde, und der ihn ausserordentlich liebgewann, so, daß er ihm alle Rechte der zaͤrtlichsten Freundschaft genießen ließ. Dieser Mann waͤre vielleicht der einzige gewesen, der seine Heftigkeit haͤtte kuriren koͤnnen, wenn er lange mit ihm umgegangen waͤre. Er sprach oft mit ihm<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [5/0009]
L..., der ihm alle Vortheile dieser Anstalt, die sie wirklich hat, sehr reizend vorzumahlen wußte, und die Thraͤnen seiner Mutter, die dies Haus wegen dem Rufe der Froͤmmigkeit vor allen schaͤtzte und sich die gewisse Hofnung machte, er wuͤrde hier sein hitziges stuͤrmisches Temperament ablegen, und als ein stiller und geduldiger Waisenhaͤuser in ihre Arme zuruͤckkehren; dieses brachte ihn so weit, daß er sich entschloß, sich alles gefallen zu lassen, was sie uͤber ihn beschließen wuͤrden. Die Briefe, die in diesen Angelegenheiten mußten nach Halle geschrieben werden, verzoͤgerten seine Abreise vier Wochen, und diese ruͤhmte er immer als die schoͤnsten seines Lebens. Der Tod seiner Tante hatte ihn in ein ernsthaftes Nachdenken versenkt und er hatte sich schon bei seinem letztern Auffenthalt in Stettin waͤhrend ihrer Krankheit von allen seinen Mitschuͤlern zuruͤckgezogen, ihre Gesinnungen schienen ihm zu leichtsinnig und zu jugendlich, denn wirklich machten diese haͤußlichen Vorfaͤlle, welche er sich sehr zu Herzen nahm, daß sein Verstand einige Jahre fruͤher maͤnnlich wurde. Hierzu trug auch ein Lehrer vieles bei, der zuletzt durch seine Verheirathung mit ihm verwandt wurde, und der ihn ausserordentlich liebgewann, so, daß er ihm alle Rechte der zaͤrtlichsten Freundschaft genießen ließ. Dieser Mann waͤre vielleicht der einzige gewesen, der seine Heftigkeit haͤtte kuriren koͤnnen, wenn er lange mit ihm umgegangen waͤre. Er sprach oft mit ihm
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