Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783.
Sein siebenjähriger Bruder, Philipp, ist ein gesunder, starker Knabe, von außerordentlichem Talent und eben so vieler Betriebsamkeit. Er ist keinen Augenblick müßig, sondern immer thätig, und seine Beschäftigungen sind gemeiniglich von so guter Art, daß sie auch dem erwachsenen Beobachter derselben Vergnügen machen, sonderlich, wenn er fähig ist, schon von den Kinderspielen auf die Beschäftigungen des künftigen Mannes zu schließen. Er pflanzt z.E. kleine Gärten, bauet Häuser und Thürme, und sucht sich die kleinen Baumaterialien im ganzen Hause dazu zusammen. Auf die Weise legt er Dörfer und Städte an, giebt ihnen Einwohner von Papier, sticht Kanäle mit einem Span und trägt das Wasser mit Nußschalen hinein u.s.w. Bei diesen Beschäftigungen ist er, wie überhaupt bei seinen Arbeiten, unermüdet. Er ruhet nicht eher, als bis er sein Projekt ausgeführt hat, und läßt nicht leicht ein Werk unvollendet liegen. -- Er pflegt gemeiniglich über alles, was ihm vorkömmt, nachzudenken: wozu es wohl nützt, was daraus verfertigt werden könnte u.s.w. Fällt ihm nun ein Brettchen oder sonst etwas in die Hände, so sinnet er gleich nach, wozu er es anwenden will; und auf die Weise entstehen denn die kleinen Plane zu seinen Unternehmungen, die, nach Maaßgabe seines Kinderverstandes, oft ziemlich gut überdacht sind. Diese
Sein siebenjaͤhriger Bruder, Philipp, ist ein gesunder, starker Knabe, von außerordentlichem Talent und eben so vieler Betriebsamkeit. Er ist keinen Augenblick muͤßig, sondern immer thaͤtig, und seine Beschaͤftigungen sind gemeiniglich von so guter Art, daß sie auch dem erwachsenen Beobachter derselben Vergnuͤgen machen, sonderlich, wenn er faͤhig ist, schon von den Kinderspielen auf die Beschaͤftigungen des kuͤnftigen Mannes zu schließen. Er pflanzt z.E. kleine Gaͤrten, bauet Haͤuser und Thuͤrme, und sucht sich die kleinen Baumaterialien im ganzen Hause dazu zusammen. Auf die Weise legt er Doͤrfer und Staͤdte an, giebt ihnen Einwohner von Papier, sticht Kanaͤle mit einem Span und traͤgt das Wasser mit Nußschalen hinein u.s.w. Bei diesen Beschaͤftigungen ist er, wie uͤberhaupt bei seinen Arbeiten, unermuͤdet. Er ruhet nicht eher, als bis er sein Projekt ausgefuͤhrt hat, und laͤßt nicht leicht ein Werk unvollendet liegen. ― Er pflegt gemeiniglich uͤber alles, was ihm vorkoͤmmt, nachzudenken: wozu es wohl nuͤtzt, was daraus verfertigt werden koͤnnte u.s.w. Faͤllt ihm nun ein Brettchen oder sonst etwas in die Haͤnde, so sinnet er gleich nach, wozu er es anwenden will; und auf die Weise entstehen denn die kleinen Plane zu seinen Unternehmungen, die, nach Maaßgabe seines Kinderverstandes, oft ziemlich gut uͤberdacht sind. Diese <TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0115" n="111"/><lb/> schwistern bespoͤttelt werden. Jch habe ihn oft Stundenlang hieruͤber weinen sehen. </p> <p>Sein siebenjaͤhriger Bruder, Philipp, ist ein gesunder, starker Knabe, von außerordentlichem Talent und eben so vieler Betriebsamkeit. Er ist keinen Augenblick muͤßig, sondern immer thaͤtig, und seine Beschaͤftigungen sind gemeiniglich von so guter Art, daß sie auch dem erwachsenen Beobachter derselben Vergnuͤgen machen, sonderlich, wenn er faͤhig ist, schon von den Kinderspielen auf die Beschaͤftigungen des kuͤnftigen Mannes zu schließen. Er pflanzt z.E. kleine Gaͤrten, bauet Haͤuser und Thuͤrme, und sucht sich die kleinen Baumaterialien im ganzen Hause dazu zusammen. Auf die Weise legt er Doͤrfer und Staͤdte an, giebt ihnen Einwohner von Papier, sticht Kanaͤle mit einem Span und traͤgt das Wasser mit Nußschalen hinein u.s.w. Bei diesen Beschaͤftigungen ist er, wie uͤberhaupt bei seinen Arbeiten, unermuͤdet. Er ruhet nicht eher, als bis er sein Projekt ausgefuͤhrt hat, und laͤßt nicht leicht ein Werk unvollendet liegen. ― Er pflegt gemeiniglich uͤber alles, was ihm vorkoͤmmt, nachzudenken: wozu es wohl nuͤtzt, was daraus verfertigt werden koͤnnte u.s.w. Faͤllt ihm nun ein Brettchen oder sonst etwas in die Haͤnde, so sinnet er gleich nach, wozu er es anwenden will; und auf die Weise entstehen denn die kleinen Plane zu seinen Unternehmungen, die, nach Maaßgabe seines Kinderverstandes, oft ziemlich gut uͤberdacht sind. Diese<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [111/0115]
schwistern bespoͤttelt werden. Jch habe ihn oft Stundenlang hieruͤber weinen sehen.
Sein siebenjaͤhriger Bruder, Philipp, ist ein gesunder, starker Knabe, von außerordentlichem Talent und eben so vieler Betriebsamkeit. Er ist keinen Augenblick muͤßig, sondern immer thaͤtig, und seine Beschaͤftigungen sind gemeiniglich von so guter Art, daß sie auch dem erwachsenen Beobachter derselben Vergnuͤgen machen, sonderlich, wenn er faͤhig ist, schon von den Kinderspielen auf die Beschaͤftigungen des kuͤnftigen Mannes zu schließen. Er pflanzt z.E. kleine Gaͤrten, bauet Haͤuser und Thuͤrme, und sucht sich die kleinen Baumaterialien im ganzen Hause dazu zusammen. Auf die Weise legt er Doͤrfer und Staͤdte an, giebt ihnen Einwohner von Papier, sticht Kanaͤle mit einem Span und traͤgt das Wasser mit Nußschalen hinein u.s.w. Bei diesen Beschaͤftigungen ist er, wie uͤberhaupt bei seinen Arbeiten, unermuͤdet. Er ruhet nicht eher, als bis er sein Projekt ausgefuͤhrt hat, und laͤßt nicht leicht ein Werk unvollendet liegen. ― Er pflegt gemeiniglich uͤber alles, was ihm vorkoͤmmt, nachzudenken: wozu es wohl nuͤtzt, was daraus verfertigt werden koͤnnte u.s.w. Faͤllt ihm nun ein Brettchen oder sonst etwas in die Haͤnde, so sinnet er gleich nach, wozu er es anwenden will; und auf die Weise entstehen denn die kleinen Plane zu seinen Unternehmungen, die, nach Maaßgabe seines Kinderverstandes, oft ziemlich gut uͤberdacht sind. Diese
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783/115>, abgerufen am 16.08.2024. |