Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783.III. Geschichte eines Selbstmords aus Verlangen seelig zu werden. ![]() Man hat wohl öfters Beispiele von Selbstmord aus Verzweiflung, Ueberdruß des Lebens, und ähnlichen Ursachen gesehen, aber einzig in seiner Art, und seltsam ist der Selbstmord aus übertriebener Frömmigkeit und Verlangen, seelig zu werden, wovon ich vor kurzem ein Beispiel erlebt, von welchem ich, weil ich glaube, daß es zur Beförderung der Menschenkenntniß etwas beitragen kann, den Verlauf erzählen will. Dorothea R.. in, eine hier gebürtige ledige Person von 38 bis 40 Jahren war der Herrnhutischen Brüdergemeine einverleibt, dabei kränklich, mehrentheils bettlägerig. Diese Person, welche beinahe immer einen von ihren leiblichen Brüdern oder Schwestern bei sich hatte, die ihr aus Geschwisterliebe zur Hand giengen und Gesellschaft leisteten, foderte in der Nacht vom 16ten zum 17ten May a.c von dem bei ihr seyenden Bruder ein Messer, welches er ihr auch, nichts Arges vermuthend, zureichte, bald darauf verlangte sie auch eine Scheere, welche er ihr aber entweder auf der Stelle nicht schaffen konnte, oder nicht schaffen wollte. Kurz hernach bemerkte er, daß sie unter Zuckungen den Geist aufgab, und als er zusprang und Blut entdeckte, so fand es sich bei III. Geschichte eines Selbstmords aus Verlangen seelig zu werden. ![]() Man hat wohl oͤfters Beispiele von Selbstmord aus Verzweiflung, Ueberdruß des Lebens, und aͤhnlichen Ursachen gesehen, aber einzig in seiner Art, und seltsam ist der Selbstmord aus uͤbertriebener Froͤmmigkeit und Verlangen, seelig zu werden, wovon ich vor kurzem ein Beispiel erlebt, von welchem ich, weil ich glaube, daß es zur Befoͤrderung der Menschenkenntniß etwas beitragen kann, den Verlauf erzaͤhlen will. Dorothea R.. in, eine hier gebuͤrtige ledige Person von 38 bis 40 Jahren war der Herrnhutischen Bruͤdergemeine einverleibt, dabei kraͤnklich, mehrentheils bettlaͤgerig. Diese Person, welche beinahe immer einen von ihren leiblichen Bruͤdern oder Schwestern bei sich hatte, die ihr aus Geschwisterliebe zur Hand giengen und Gesellschaft leisteten, foderte in der Nacht vom 16ten zum 17ten May a.c von dem bei ihr seyenden Bruder ein Messer, welches er ihr auch, nichts Arges vermuthend, zureichte, bald darauf verlangte sie auch eine Scheere, welche er ihr aber entweder auf der Stelle nicht schaffen konnte, oder nicht schaffen wollte. Kurz hernach bemerkte er, daß sie unter Zuckungen den Geist aufgab, und als er zusprang und Blut entdeckte, so fand es sich bei <TEI> <text> <body> <div> <div> <pb facs="#f0032" n="28"/><lb/><lb/> </div> <div> <head><hi rendition="#aq">III</hi>. Geschichte eines Selbstmords aus Verlangen seelig zu werden.</head><lb/> <note type="editorial"> <bibl> <persName ref="#ref91"><note type="editorial"/>Metzger, Johann Daniel</persName> </bibl> </note> <p>Man hat wohl oͤfters Beispiele von Selbstmord aus Verzweiflung, Ueberdruß des Lebens, und aͤhnlichen Ursachen gesehen, aber einzig in seiner Art, und seltsam ist der Selbstmord aus uͤbertriebener Froͤmmigkeit und Verlangen, seelig zu werden, wovon ich vor kurzem ein Beispiel erlebt, von welchem ich, weil ich glaube, daß es zur Befoͤrderung der Menschenkenntniß etwas beitragen kann, den Verlauf erzaͤhlen will. </p> <p>Dorothea R.. in, eine hier gebuͤrtige ledige Person von 38 bis 40 Jahren war der Herrnhutischen Bruͤdergemeine einverleibt, dabei kraͤnklich, mehrentheils bettlaͤgerig. Diese Person, welche beinahe immer einen von ihren leiblichen Bruͤdern oder Schwestern bei sich hatte, die ihr aus Geschwisterliebe zur Hand giengen und Gesellschaft leisteten, foderte in der Nacht vom 16ten zum 17ten May <hi rendition="#aq">a.c</hi> von dem bei ihr seyenden Bruder ein Messer, welches er ihr auch, nichts Arges vermuthend, zureichte, bald darauf verlangte sie auch eine Scheere, welche er ihr aber entweder auf der Stelle nicht schaffen konnte, oder nicht schaffen wollte. Kurz hernach bemerkte er, daß sie unter Zuckungen den Geist aufgab, und als er zusprang und Blut entdeckte, so fand es sich bei<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [28/0032]
III. Geschichte eines Selbstmords aus Verlangen seelig zu werden.
Man hat wohl oͤfters Beispiele von Selbstmord aus Verzweiflung, Ueberdruß des Lebens, und aͤhnlichen Ursachen gesehen, aber einzig in seiner Art, und seltsam ist der Selbstmord aus uͤbertriebener Froͤmmigkeit und Verlangen, seelig zu werden, wovon ich vor kurzem ein Beispiel erlebt, von welchem ich, weil ich glaube, daß es zur Befoͤrderung der Menschenkenntniß etwas beitragen kann, den Verlauf erzaͤhlen will.
Dorothea R.. in, eine hier gebuͤrtige ledige Person von 38 bis 40 Jahren war der Herrnhutischen Bruͤdergemeine einverleibt, dabei kraͤnklich, mehrentheils bettlaͤgerig. Diese Person, welche beinahe immer einen von ihren leiblichen Bruͤdern oder Schwestern bei sich hatte, die ihr aus Geschwisterliebe zur Hand giengen und Gesellschaft leisteten, foderte in der Nacht vom 16ten zum 17ten May a.c von dem bei ihr seyenden Bruder ein Messer, welches er ihr auch, nichts Arges vermuthend, zureichte, bald darauf verlangte sie auch eine Scheere, welche er ihr aber entweder auf der Stelle nicht schaffen konnte, oder nicht schaffen wollte. Kurz hernach bemerkte er, daß sie unter Zuckungen den Geist aufgab, und als er zusprang und Blut entdeckte, so fand es sich bei
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783/32>, abgerufen am 16.07.2024. |