Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite


näherer Untersuchung, daß die Verstorbene sich mit dem ihr gereichten Messer eine Wunde in den Unterleib beigebracht, und sich verblutet hatte. Die Obrigkeit, welcher der Zufall gemeldet wurde, ließ sogleich eine Obduction anstellen. Man fand eine Wunde am Unterleib vier Zoll lang von außen, drey von innen, durch welche die Gedärme hervorgedrungen waren; sie war ungleich und folglich durch wiederholtes Ansetzen des Messers verursacht. Am untersten Winkel der Wunde war die Arteria epigastrica verletzt, und daher die Verblutung entstanden.

Ein Umstand war zwar hierbei verdächtig. Der Bruder war bei der Schwester allein gewesen, und hatte, ehe die versammelten Geschwister beschlossen, die Sache pflichtmäßig anzuzeigen, das Messer ins Wasser geworfen. Er wurde daher zwar auch eingezogen, allein es mittelte sich bald aus, daß er ihr Mörder weder war, noch seyn konnte, und daß bloß das Vorurtheil, ein Selbstmord und die darauf folgende gerichtliche Untersuchung bringe Schande auf eine Familie, ihn veranlaßt, das Messer wegzuwerfen, um die Sache desto besser geheim halten zu können. Jn der Mine der Verstorbenen herrschte noch Ruhe und Heiterkeit des Gemüths; keine Spur irgend einer anderweitigen Gewaltthätigkeit äußerte sich an dem Körper.

Mir schien der Vorfall nicht sowohl der Tödtlichkeit der Wunde, als des Beweggrunds wegen, welcher die Verstorbene zum Selbstmord mochte ver-


naͤherer Untersuchung, daß die Verstorbene sich mit dem ihr gereichten Messer eine Wunde in den Unterleib beigebracht, und sich verblutet hatte. Die Obrigkeit, welcher der Zufall gemeldet wurde, ließ sogleich eine Obduction anstellen. Man fand eine Wunde am Unterleib vier Zoll lang von außen, drey von innen, durch welche die Gedaͤrme hervorgedrungen waren; sie war ungleich und folglich durch wiederholtes Ansetzen des Messers verursacht. Am untersten Winkel der Wunde war die Arteria epigastrica verletzt, und daher die Verblutung entstanden.

Ein Umstand war zwar hierbei verdaͤchtig. Der Bruder war bei der Schwester allein gewesen, und hatte, ehe die versammelten Geschwister beschlossen, die Sache pflichtmaͤßig anzuzeigen, das Messer ins Wasser geworfen. Er wurde daher zwar auch eingezogen, allein es mittelte sich bald aus, daß er ihr Moͤrder weder war, noch seyn konnte, und daß bloß das Vorurtheil, ein Selbstmord und die darauf folgende gerichtliche Untersuchung bringe Schande auf eine Familie, ihn veranlaßt, das Messer wegzuwerfen, um die Sache desto besser geheim halten zu koͤnnen. Jn der Mine der Verstorbenen herrschte noch Ruhe und Heiterkeit des Gemuͤths; keine Spur irgend einer anderweitigen Gewaltthaͤtigkeit aͤußerte sich an dem Koͤrper.

Mir schien der Vorfall nicht sowohl der Toͤdtlichkeit der Wunde, als des Beweggrunds wegen, welcher die Verstorbene zum Selbstmord mochte ver-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div>
          <p><pb facs="#f0033" n="29"/><lb/>
na&#x0364;herer Untersuchung, daß die Verstorbene sich mit                         dem ihr gereichten Messer eine Wunde in den Unterleib beigebracht, und sich                         verblutet hatte. Die Obrigkeit, welcher der Zufall gemeldet wurde, ließ                         sogleich eine Obduction anstellen. Man fand eine Wunde am Unterleib vier                         Zoll lang von außen, drey von innen, durch welche die Geda&#x0364;rme                         hervorgedrungen waren; sie war ungleich und folglich durch wiederholtes                         Ansetzen des Messers verursacht. Am untersten Winkel der Wunde war die <hi rendition="#aq">Arteria epigastrica</hi> verletzt, und daher die                         Verblutung entstanden. </p>
          <p>Ein Umstand war zwar hierbei verda&#x0364;chtig. Der Bruder war bei der                         Schwester allein gewesen, und hatte, ehe die versammelten Geschwister                         beschlossen, die Sache pflichtma&#x0364;ßig anzuzeigen, das Messer ins Wasser                         geworfen. Er wurde daher zwar auch eingezogen, allein es mittelte sich bald                         aus, daß er ihr Mo&#x0364;rder weder war, noch seyn konnte, und daß bloß das                         Vorurtheil, ein Selbstmord und die darauf folgende gerichtliche Untersuchung                         bringe Schande auf eine Familie, ihn veranlaßt, das Messer wegzuwerfen, um                         die Sache desto besser geheim halten zu ko&#x0364;nnen. Jn der Mine der Verstorbenen                         herrschte noch Ruhe und Heiterkeit des Gemu&#x0364;ths; keine Spur irgend einer                         anderweitigen Gewalttha&#x0364;tigkeit a&#x0364;ußerte sich an dem Ko&#x0364;rper. </p>
          <p>Mir schien der Vorfall nicht sowohl der To&#x0364;dtlichkeit der Wunde,                         als des Beweggrunds wegen, welcher die Verstorbene zum Selbstmord mochte                             ver-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[29/0033] naͤherer Untersuchung, daß die Verstorbene sich mit dem ihr gereichten Messer eine Wunde in den Unterleib beigebracht, und sich verblutet hatte. Die Obrigkeit, welcher der Zufall gemeldet wurde, ließ sogleich eine Obduction anstellen. Man fand eine Wunde am Unterleib vier Zoll lang von außen, drey von innen, durch welche die Gedaͤrme hervorgedrungen waren; sie war ungleich und folglich durch wiederholtes Ansetzen des Messers verursacht. Am untersten Winkel der Wunde war die Arteria epigastrica verletzt, und daher die Verblutung entstanden. Ein Umstand war zwar hierbei verdaͤchtig. Der Bruder war bei der Schwester allein gewesen, und hatte, ehe die versammelten Geschwister beschlossen, die Sache pflichtmaͤßig anzuzeigen, das Messer ins Wasser geworfen. Er wurde daher zwar auch eingezogen, allein es mittelte sich bald aus, daß er ihr Moͤrder weder war, noch seyn konnte, und daß bloß das Vorurtheil, ein Selbstmord und die darauf folgende gerichtliche Untersuchung bringe Schande auf eine Familie, ihn veranlaßt, das Messer wegzuwerfen, um die Sache desto besser geheim halten zu koͤnnen. Jn der Mine der Verstorbenen herrschte noch Ruhe und Heiterkeit des Gemuͤths; keine Spur irgend einer anderweitigen Gewaltthaͤtigkeit aͤußerte sich an dem Koͤrper. Mir schien der Vorfall nicht sowohl der Toͤdtlichkeit der Wunde, als des Beweggrunds wegen, welcher die Verstorbene zum Selbstmord mochte ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783/33
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783/33>, abgerufen am 23.11.2024.