Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783.
Weil ich nun leicht erachten konnte, daß sie mir den Einwurf gewiß machen wollte, ich sehe aber Gott nicht? So bedeutete ich ihr hierauf für das erste, daß man viele Dinge nicht sehen könnte, und wären doch da. Z.E. das Ding, mit welchem sie wüßte, was sie thäte, das wäre nicht ihr Finger, oder Hand, oder Arm, sondern das wäre in ihr, ihr Geist. Nun frug ich sie durch Zeichen: ob sie schon gesehen hätte, das jemand gestorben wäre? welches sie mit ihrem Ja Zeichen anzeigte. Worauf ich weiter frug, ob sie denn auch die Seele gesehen hätte, daß die gestorben wäre? Die habe ich nicht sterben sehen, schrieb sie. Jch bezeichnete ihr, daß die auch nicht sterben könnte, weil sie kein Finger, oder Hand, oder Fuß wäre. Aber, schrieb ich, die Seele ist vielleicht noch in dem todten Menschen geblieben? worauf sie aber antwortete: Nein, denn der Mensch hätte seine Hände, Augen, Mund und nichts mehr rühren können, welches ihre Seele sonst befohlen. Dieses überzeugte sie deutlich, daß die Seele nicht mehr in dem verstorbenen Menschen sei, indem man nach weniger denn Acht Tagen seinen besten Freund nicht mehr sehen möchte, wenn er todt wäre. Aber die
Weil ich nun leicht erachten konnte, daß sie mir den Einwurf gewiß machen wollte, ich sehe aber Gott nicht? So bedeutete ich ihr hierauf fuͤr das erste, daß man viele Dinge nicht sehen koͤnnte, und waͤren doch da. Z.E. das Ding, mit welchem sie wuͤßte, was sie thaͤte, das waͤre nicht ihr Finger, oder Hand, oder Arm, sondern das waͤre in ihr, ihr Geist. Nun frug ich sie durch Zeichen: ob sie schon gesehen haͤtte, das jemand gestorben waͤre? welches sie mit ihrem Ja Zeichen anzeigte. Worauf ich weiter frug, ob sie denn auch die Seele gesehen haͤtte, daß die gestorben waͤre? Die habe ich nicht sterben sehen, schrieb sie. Jch bezeichnete ihr, daß die auch nicht sterben koͤnnte, weil sie kein Finger, oder Hand, oder Fuß waͤre. Aber, schrieb ich, die Seele ist vielleicht noch in dem todten Menschen geblieben? worauf sie aber antwortete: Nein, denn der Mensch haͤtte seine Haͤnde, Augen, Mund und nichts mehr ruͤhren koͤnnen, welches ihre Seele sonst befohlen. Dieses uͤberzeugte sie deutlich, daß die Seele nicht mehr in dem verstorbenen Menschen sei, indem man nach weniger denn Acht Tagen seinen besten Freund nicht mehr sehen moͤchte, wenn er todt waͤre. Aber die <TEI> <text> <body> <div> <div> <div> <p><pb facs="#f0097" n="93"/><lb/> mit dem Kopfe. Nun eben so bedeutete ich ihr: wuͤrde Gott uns auch gnaͤdiglich beschuͤtzen, das uns kein Leid wiederfuͤhre, ob es auch noch so sehr donnerte und blitzete, denn er waͤre unser Vater und wir seine Kinder. </p> <p>Weil ich nun leicht erachten konnte, daß sie mir den Einwurf gewiß machen wollte, ich sehe aber Gott nicht? So bedeutete ich ihr hierauf fuͤr das erste, daß man viele Dinge nicht sehen koͤnnte, und waͤren doch da. Z.E. das Ding, mit welchem sie wuͤßte, was sie thaͤte, das waͤre nicht ihr Finger, oder Hand, oder Arm, sondern das waͤre in ihr, ihr Geist. Nun frug ich sie durch Zeichen: ob sie schon gesehen haͤtte, das jemand gestorben waͤre? welches sie mit ihrem Ja Zeichen anzeigte. Worauf ich weiter frug, ob sie denn auch die Seele gesehen haͤtte, daß die gestorben waͤre? Die habe ich nicht sterben sehen, schrieb sie. </p> <p>Jch bezeichnete ihr, daß die auch nicht sterben koͤnnte, weil sie kein Finger, oder Hand, oder Fuß waͤre. Aber, schrieb ich, die Seele ist vielleicht noch in dem todten Menschen geblieben? worauf sie aber antwortete: Nein, denn der Mensch haͤtte seine Haͤnde, Augen, Mund und nichts mehr ruͤhren koͤnnen, welches ihre Seele sonst befohlen. Dieses uͤberzeugte sie deutlich, daß die Seele nicht mehr in dem verstorbenen Menschen sei, indem man nach weniger denn Acht Tagen seinen besten Freund nicht mehr sehen moͤchte, wenn er todt waͤre. Aber die<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [93/0097]
mit dem Kopfe. Nun eben so bedeutete ich ihr: wuͤrde Gott uns auch gnaͤdiglich beschuͤtzen, das uns kein Leid wiederfuͤhre, ob es auch noch so sehr donnerte und blitzete, denn er waͤre unser Vater und wir seine Kinder.
Weil ich nun leicht erachten konnte, daß sie mir den Einwurf gewiß machen wollte, ich sehe aber Gott nicht? So bedeutete ich ihr hierauf fuͤr das erste, daß man viele Dinge nicht sehen koͤnnte, und waͤren doch da. Z.E. das Ding, mit welchem sie wuͤßte, was sie thaͤte, das waͤre nicht ihr Finger, oder Hand, oder Arm, sondern das waͤre in ihr, ihr Geist. Nun frug ich sie durch Zeichen: ob sie schon gesehen haͤtte, das jemand gestorben waͤre? welches sie mit ihrem Ja Zeichen anzeigte. Worauf ich weiter frug, ob sie denn auch die Seele gesehen haͤtte, daß die gestorben waͤre? Die habe ich nicht sterben sehen, schrieb sie.
Jch bezeichnete ihr, daß die auch nicht sterben koͤnnte, weil sie kein Finger, oder Hand, oder Fuß waͤre. Aber, schrieb ich, die Seele ist vielleicht noch in dem todten Menschen geblieben? worauf sie aber antwortete: Nein, denn der Mensch haͤtte seine Haͤnde, Augen, Mund und nichts mehr ruͤhren koͤnnen, welches ihre Seele sonst befohlen. Dieses uͤberzeugte sie deutlich, daß die Seele nicht mehr in dem verstorbenen Menschen sei, indem man nach weniger denn Acht Tagen seinen besten Freund nicht mehr sehen moͤchte, wenn er todt waͤre. Aber die
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783/97>, abgerufen am 16.07.2024. |