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Moritz, Karl Philipp: Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 1. Berlin, 1783.

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hörte, sondern nur empfand, so betrachtete man
sie als eine Eigenschaft, welche man irgend einem
andern Wesen zuschreiben müsse, und da man ein
solches nicht fand, so setzte man an die Stelle dessel-
ben das unpersönliche es, worunter man sich aber
auch im Grunde weiter nichts, als die Kälte sel-
ber dachte.

Was nun von den unpersönlichen Zeitwörtern
gilt, welche eine Veränderung oder Erscheinung
außer uns in der Natur anzeigen, das gilt zum
Theil auch von denen, welche Verändrungen und
Erscheinungen in uns selber, entweder im Körper
oder in der Seele, die nicht von unserm Willen ab-
hängig sind, bezeichnen, und diese verdienen freilich
in psychologischer Rücksicht, die meiste Aufmerksam-
keit. -- Wie fein ist z. B. die Grenzlinie zwischen
den Ausdrücken es scheinet mir, es däucht mir,
es kömmt mir so vor,
u. s. w. und dem Ausdruck
ich glaube wo der Wille unsrer vorher schwan-
kenden Meinung gleichsam noch den Ausschlag giebt,
so, daß glauben etwas gewissermaßen von unsrer
Willkühr abhängiges, scheinen, däuchten, und
vorkommen aber etwas von ihr unabhängiges
zu seyn scheint. --

So sagen wir auch nicht ohne Grund es schlä-
fert mich,
aber nicht es schläft mich sondern
ich schlafe, und betrachten das Schlafen als etwas,

das
Magazin 1stes St. G

hoͤrte, sondern nur empfand, so betrachtete man
sie als eine Eigenschaft, welche man irgend einem
andern Wesen zuschreiben muͤsse, und da man ein
solches nicht fand, so setzte man an die Stelle dessel-
ben das unpersoͤnliche es, worunter man sich aber
auch im Grunde weiter nichts, als die Kaͤlte sel-
ber dachte.

Was nun von den unpersoͤnlichen Zeitwoͤrtern
gilt, welche eine Veraͤnderung oder Erscheinung
außer uns in der Natur anzeigen, das gilt zum
Theil auch von denen, welche Veraͤndrungen und
Erscheinungen in uns selber, entweder im Koͤrper
oder in der Seele, die nicht von unserm Willen ab-
haͤngig sind, bezeichnen, und diese verdienen freilich
in psychologischer Ruͤcksicht, die meiste Aufmerksam-
keit. — Wie fein ist z. B. die Grenzlinie zwischen
den Ausdruͤcken es scheinet mir, es daͤucht mir,
es koͤmmt mir so vor,
u. s. w. und dem Ausdruck
ich glaube wo der Wille unsrer vorher schwan-
kenden Meinung gleichsam noch den Ausschlag giebt,
so, daß glauben etwas gewissermaßen von unsrer
Willkuͤhr abhaͤngiges, scheinen, daͤuchten, und
vorkommen aber etwas von ihr unabhaͤngiges
zu seyn scheint. —

So sagen wir auch nicht ohne Grund es schlaͤ-
fert mich,
aber nicht es schlaͤft mich sondern
ich schlafe, und betrachten das Schlafen als etwas,

das
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[97/0101] hoͤrte, sondern nur empfand, so betrachtete man sie als eine Eigenschaft, welche man irgend einem andern Wesen zuschreiben muͤsse, und da man ein solches nicht fand, so setzte man an die Stelle dessel- ben das unpersoͤnliche es, worunter man sich aber auch im Grunde weiter nichts, als die Kaͤlte sel- ber dachte. Was nun von den unpersoͤnlichen Zeitwoͤrtern gilt, welche eine Veraͤnderung oder Erscheinung außer uns in der Natur anzeigen, das gilt zum Theil auch von denen, welche Veraͤndrungen und Erscheinungen in uns selber, entweder im Koͤrper oder in der Seele, die nicht von unserm Willen ab- haͤngig sind, bezeichnen, und diese verdienen freilich in psychologischer Ruͤcksicht, die meiste Aufmerksam- keit. — Wie fein ist z. B. die Grenzlinie zwischen den Ausdruͤcken es scheinet mir, es daͤucht mir, es koͤmmt mir so vor, u. s. w. und dem Ausdruck ich glaube wo der Wille unsrer vorher schwan- kenden Meinung gleichsam noch den Ausschlag giebt, so, daß glauben etwas gewissermaßen von unsrer Willkuͤhr abhaͤngiges, scheinen, daͤuchten, und vorkommen aber etwas von ihr unabhaͤngiges zu seyn scheint. — So sagen wir auch nicht ohne Grund es schlaͤ- fert mich, aber nicht es schlaͤft mich sondern ich schlafe, und betrachten das Schlafen als etwas, das Magazin 1stes St. G

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 1. Berlin, 1783, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01_1783/101>, abgerufen am 16.05.2024.