Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 1. Berlin, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

die Verwirrung der Phantasie, ist allezeit die nehm-
liche; allein in Absicht des Bewußtseyns, zeigte
sich die folgendenmale ein merkwürdiger Unterschied.

Schon das zweitemal kam zugleich mit dem
Zufall einiges Bewußtseyn, und Erinnerung an
den ersten Fall, in die Seele, dieses Bewußtseyn ist
bei jedem folgendenmale immer deutlicher gewor-
den; und die ganze Erscheinung hat dadurch viel
von dem Schreckhaften, das sie anfänglich hatte,
für mich verloren.

Jch weiß jetzt, sobald der Zufall kommt, ganz
deutlich, daß ich in diesem Zustande bin, daß er bald
vorüber geht, und mir weiter keinen Schaden ver-
ursacht; ja, da ich einmal gehört habe, das Alpdrücken
höre auf, sobald man nur ein Glied bewege, so habe
ich doch bei aller Verwirrung oder Verrücktheit, die
im Kopfe ist, genug Geistesgegenwart, um mich
an diese Regel zu erinnern.

Jch bestrebe mich dann, irgend ein Glied zu
bewegen, allein es ist nicht anders, als ob die
Seele (man erlaube mir einen etwas sinnlichen
Ausdruck) die Fäden, an welchen sie die Glie-
der bewegt, nicht finden könnte, als ob sie sie
erst suchen müßte. Gemeiniglich war die rechte
Hand das erste, was ich bewegen konnte, und dann
verschwand das ganze Hirngespinst ziemlich bald.


Jch

die Verwirrung der Phantasie, ist allezeit die nehm-
liche; allein in Absicht des Bewußtseyns, zeigte
sich die folgendenmale ein merkwuͤrdiger Unterschied.

Schon das zweitemal kam zugleich mit dem
Zufall einiges Bewußtseyn, und Erinnerung an
den ersten Fall, in die Seele, dieses Bewußtseyn ist
bei jedem folgendenmale immer deutlicher gewor-
den; und die ganze Erscheinung hat dadurch viel
von dem Schreckhaften, das sie anfaͤnglich hatte,
fuͤr mich verloren.

Jch weiß jetzt, sobald der Zufall kommt, ganz
deutlich, daß ich in diesem Zustande bin, daß er bald
voruͤber geht, und mir weiter keinen Schaden ver-
ursacht; ja, da ich einmal gehoͤrt habe, das Alpdruͤcken
hoͤre auf, sobald man nur ein Glied bewege, so habe
ich doch bei aller Verwirrung oder Verruͤcktheit, die
im Kopfe ist, genug Geistesgegenwart, um mich
an diese Regel zu erinnern.

Jch bestrebe mich dann, irgend ein Glied zu
bewegen, allein es ist nicht anders, als ob die
Seele (man erlaube mir einen etwas sinnlichen
Ausdruck) die Faͤden, an welchen sie die Glie-
der bewegt, nicht finden koͤnnte, als ob sie sie
erst suchen muͤßte. Gemeiniglich war die rechte
Hand das erste, was ich bewegen konnte, und dann
verschwand das ganze Hirngespinst ziemlich bald.


Jch
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0054" n="50"/>
die Verwirrung der Phantasie, ist allezeit die
                   nehm-<lb/>
liche; allein in Absicht des Bewußtseyns, zeigte<lb/>
sich die
                   folgendenmale ein merkwu&#x0364;rdiger Unterschied.</p><lb/>
          <p>Schon das zweitemal kam zugleich mit dem<lb/>
Zufall einiges Bewußtseyn, und Erinnerung
                   an<lb/>
den ersten Fall, in die Seele, dieses Bewußtseyn ist<lb/>
bei jedem
                   folgendenmale immer deutlicher gewor-<lb/>
den; und die ganze Erscheinung hat
                   dadurch viel<lb/>
von dem Schreckhaften, das sie anfa&#x0364;nglich
                   hatte,<lb/>
fu&#x0364;r mich verloren.</p><lb/>
          <p>Jch weiß jetzt, sobald der Zufall kommt, ganz<lb/>
deutlich, daß ich in diesem Zustande
                   bin, daß er bald<lb/>
voru&#x0364;ber geht, und mir weiter keinen Schaden
                   ver-<lb/>
ursacht; ja, da ich einmal geho&#x0364;rt habe, das
                   Alpdru&#x0364;cken<lb/>
ho&#x0364;re auf, sobald man nur ein Glied bewege, so
                   habe<lb/>
ich doch bei aller Verwirrung oder Verru&#x0364;cktheit, die<lb/>
im Kopfe
                   ist, genug Geistesgegenwart, um mich<lb/>
an diese Regel zu erinnern.</p><lb/>
          <p>Jch bestrebe mich dann, irgend ein Glied zu<lb/>
bewegen, allein es ist nicht anders, als
                   ob die<lb/>
Seele (man erlaube mir einen etwas sinnlichen<lb/>
Ausdruck) die
                   Fa&#x0364;den, an welchen sie die Glie-<lb/>
der bewegt, nicht finden
                   ko&#x0364;nnte, als ob sie sie<lb/>
erst suchen mu&#x0364;ßte. Gemeiniglich war die
                   rechte<lb/>
Hand das erste, was ich bewegen konnte, und dann<lb/>
verschwand das
                   ganze Hirngespinst ziemlich bald.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Jch</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[50/0054] die Verwirrung der Phantasie, ist allezeit die nehm- liche; allein in Absicht des Bewußtseyns, zeigte sich die folgendenmale ein merkwuͤrdiger Unterschied. Schon das zweitemal kam zugleich mit dem Zufall einiges Bewußtseyn, und Erinnerung an den ersten Fall, in die Seele, dieses Bewußtseyn ist bei jedem folgendenmale immer deutlicher gewor- den; und die ganze Erscheinung hat dadurch viel von dem Schreckhaften, das sie anfaͤnglich hatte, fuͤr mich verloren. Jch weiß jetzt, sobald der Zufall kommt, ganz deutlich, daß ich in diesem Zustande bin, daß er bald voruͤber geht, und mir weiter keinen Schaden ver- ursacht; ja, da ich einmal gehoͤrt habe, das Alpdruͤcken hoͤre auf, sobald man nur ein Glied bewege, so habe ich doch bei aller Verwirrung oder Verruͤcktheit, die im Kopfe ist, genug Geistesgegenwart, um mich an diese Regel zu erinnern. Jch bestrebe mich dann, irgend ein Glied zu bewegen, allein es ist nicht anders, als ob die Seele (man erlaube mir einen etwas sinnlichen Ausdruck) die Faͤden, an welchen sie die Glie- der bewegt, nicht finden koͤnnte, als ob sie sie erst suchen muͤßte. Gemeiniglich war die rechte Hand das erste, was ich bewegen konnte, und dann verschwand das ganze Hirngespinst ziemlich bald. Jch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Gloning, Marc Kuse, Justus-Liebig-Universität: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2013-06-06T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jurgita Baranauskaite, Justus-Liebig-Universität: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2013-06-06T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-06-06T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01_1783/54
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 1. Berlin, 1783, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01_1783/54>, abgerufen am 16.05.2024.