Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 1. Berlin, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

Blut, die Quelle schwarzer melancholischer Bilder,
gesetzt hatte.

Doch kann ich versichern, daß ich von Hy-
pochondrie, auf die man etwa argwöhnen könnte,
völlig frei gewesen. Mehrere Zerstreuung und
Aufheiterung des Geistes, die ich selbst geflissentlich
suchte, und die sich mir glücklicherweise jetzt auch
ungesucht, mehr denn vorhin, darbot, sind wohl
meine stärksten Heilungsmittel gewesen.

Sodann die Länge der Zeit, die öfters macht,
daß wir uns an Dinge mit Gleichgültigkeit zu den-
ken gewöhnen, die im Anfange für uns etwas
Schreckliches hatten; endlich eigenes festes Stre-
ben, nach einiger wieder erlangter Übermacht der
vernünftigen ruhigen Betrachtung über Eindrücke
der wilden Phantasie, durch genauere Betrachtung
des Phantoms, dasselbe schwinden zu machen.

Jetzt kann ich schon seit geraumer Zeit nicht
bloß an das, was mich vormals in meinen Gedan-
ken so heftig erschütterte, gelassen denken; sondern
auch, wie Sie, bester Freund, sehen, anstatt
sonst nicht einmal das Wort aussprechen zu können,
ohne die mindeste Bewegung sogar eine ganze Be-
schreibung meines vormaligen Zustandes
machen.

K. H. Jördens,
Lehrer am Schindlerischen Waisenhause
in Berlin.


Ich

Blut, die Quelle schwarzer melancholischer Bilder,
gesetzt hatte.

Doch kann ich versichern, daß ich von Hy-
pochondrie, auf die man etwa argwoͤhnen koͤnnte,
voͤllig frei gewesen. Mehrere Zerstreuung und
Aufheiterung des Geistes, die ich selbst geflissentlich
suchte, und die sich mir gluͤcklicherweise jetzt auch
ungesucht, mehr denn vorhin, darbot, sind wohl
meine staͤrksten Heilungsmittel gewesen.

Sodann die Laͤnge der Zeit, die oͤfters macht,
daß wir uns an Dinge mit Gleichguͤltigkeit zu den-
ken gewoͤhnen, die im Anfange fuͤr uns etwas
Schreckliches hatten; endlich eigenes festes Stre-
ben, nach einiger wieder erlangter Uͤbermacht der
vernuͤnftigen ruhigen Betrachtung uͤber Eindruͤcke
der wilden Phantasie, durch genauere Betrachtung
des Phantoms, dasselbe schwinden zu machen.

Jetzt kann ich schon seit geraumer Zeit nicht
bloß an das, was mich vormals in meinen Gedan-
ken so heftig erschuͤtterte, gelassen denken; sondern
auch, wie Sie, bester Freund, sehen, anstatt
sonst nicht einmal das Wort aussprechen zu koͤnnen,
ohne die mindeste Bewegung sogar eine ganze Be-
schreibung meines vormaligen Zustandes
machen.

K. H. Joͤrdens,
Lehrer am Schindlerischen Waisenhause
in Berlin.


Ich
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0094" n="90"/>
Blut, die Quelle schwarzer melancholischer
                   Bilder,<lb/>
gesetzt hatte.</p><lb/>
          <p>Doch kann ich versichern, daß ich von Hy-<lb/>
pochondrie, auf die man etwa
                   argwo&#x0364;hnen ko&#x0364;nnte,<lb/>
vo&#x0364;llig frei gewesen. Mehrere
                   Zerstreuung und<lb/>
Aufheiterung des Geistes, die ich selbst
                   geflissentlich<lb/>
suchte, und die sich mir glu&#x0364;cklicherweise jetzt
                   auch<lb/>
ungesucht, mehr denn vorhin, darbot, sind wohl<lb/>
meine
                   sta&#x0364;rksten Heilungsmittel gewesen.</p><lb/>
          <p>Sodann die La&#x0364;nge der Zeit, die o&#x0364;fters macht,<lb/>
daß wir uns an Dinge
                   mit Gleichgu&#x0364;ltigkeit zu den-<lb/>
ken gewo&#x0364;hnen, die im Anfange
                   fu&#x0364;r uns etwas<lb/>
Schreckliches hatten; endlich eigenes festes
                   Stre-<lb/>
ben, nach einiger wieder erlangter U&#x0364;bermacht
                   der<lb/>
vernu&#x0364;nftigen ruhigen Betrachtung u&#x0364;ber
                   Eindru&#x0364;cke<lb/>
der wilden Phantasie, durch genauere Betrachtung<lb/>
des
                   Phantoms, dasselbe schwinden zu machen.</p><lb/>
          <p>Jetzt kann ich schon seit geraumer Zeit nicht<lb/>
bloß an das, was mich vormals in
                   meinen Gedan-<lb/>
ken so heftig erschu&#x0364;tterte, gelassen denken;
                   sondern<lb/>
auch, wie Sie, bester Freund, sehen, anstatt<lb/>
sonst nicht einmal
                   das Wort aussprechen zu ko&#x0364;nnen,<lb/>
ohne die mindeste Bewegung sogar eine
                   ganze Be-<lb/>
schreibung meines vormaligen Zustandes<lb/>
machen.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#b">K. H. Jo&#x0364;rdens,</hi><lb/>
Lehrer am Schindlerischen Waisenhause<lb/>
in Berlin.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Ich</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[90/0094] Blut, die Quelle schwarzer melancholischer Bilder, gesetzt hatte. Doch kann ich versichern, daß ich von Hy- pochondrie, auf die man etwa argwoͤhnen koͤnnte, voͤllig frei gewesen. Mehrere Zerstreuung und Aufheiterung des Geistes, die ich selbst geflissentlich suchte, und die sich mir gluͤcklicherweise jetzt auch ungesucht, mehr denn vorhin, darbot, sind wohl meine staͤrksten Heilungsmittel gewesen. Sodann die Laͤnge der Zeit, die oͤfters macht, daß wir uns an Dinge mit Gleichguͤltigkeit zu den- ken gewoͤhnen, die im Anfange fuͤr uns etwas Schreckliches hatten; endlich eigenes festes Stre- ben, nach einiger wieder erlangter Uͤbermacht der vernuͤnftigen ruhigen Betrachtung uͤber Eindruͤcke der wilden Phantasie, durch genauere Betrachtung des Phantoms, dasselbe schwinden zu machen. Jetzt kann ich schon seit geraumer Zeit nicht bloß an das, was mich vormals in meinen Gedan- ken so heftig erschuͤtterte, gelassen denken; sondern auch, wie Sie, bester Freund, sehen, anstatt sonst nicht einmal das Wort aussprechen zu koͤnnen, ohne die mindeste Bewegung sogar eine ganze Be- schreibung meines vormaligen Zustandes machen. K. H. Joͤrdens, Lehrer am Schindlerischen Waisenhause in Berlin. Ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Gloning, Marc Kuse, Justus-Liebig-Universität: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2013-06-06T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jurgita Baranauskaite, Justus-Liebig-Universität: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2013-06-06T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-06-06T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01_1783/94
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 1. Berlin, 1783, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01_1783/94>, abgerufen am 16.05.2024.