Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784.
Er war fast außer sich, und konnte dieß nicht begreifen, daß ich gar die Lieder auswendig konnte, ohne noch an dem Jnhalt und den sonst so gewöhnlichen Folgen Theil zu nehmen. Endlich hieß es, nichts gar nichts hindre mich noch, als das unselige Studiren; ich sollte es wegwerfen; der Heiland könne besser lehren, als Menschen; darum ginge er auch nicht in Collegia, und genösse dafür unaussprechliche Seelenruhe und Unterricht des Heilandes. Studiren ganz weglegen war mir sehr auffallend, zumal ich nicht wußte, ob der gute Mann jemalen was ernstliches gelernt hätte; ich hatte schon ehedem Weigels Ausschweifungen wider Schulen und Universitäten kennen lernen. Allein es entstunde doch eine seltsame Unruhe in mir; ein ängstliches Misfallen an mir selbst, an allen noch so rechtmäßigen oder unschuldigen Handlungen; ich fieng an, eine innere Stille und Unthätigkeit mir zu wünschen; und hatte noch nichts von Molinos oder neuern Mystikern gelesen. Krause half dazu, um, wie er meinte, mich vollend zur Uebergabe zu bringen; allein eben die Lage, da man mir nie Sachen oder ihre kenntlichen Beschreibungen, sondern stets Tropen und viele sinnliche Bilder vorlegte, machte, das ich mich nie davon überzeugen konnte, ich hätte nun die Gnade; denn
Er war fast außer sich, und konnte dieß nicht begreifen, daß ich gar die Lieder auswendig konnte, ohne noch an dem Jnhalt und den sonst so gewoͤhnlichen Folgen Theil zu nehmen. Endlich hieß es, nichts gar nichts hindre mich noch, als das unselige Studiren; ich sollte es wegwerfen; der Heiland koͤnne besser lehren, als Menschen; darum ginge er auch nicht in Collegia, und genoͤsse dafuͤr unaussprechliche Seelenruhe und Unterricht des Heilandes. Studiren ganz weglegen war mir sehr auffallend, zumal ich nicht wußte, ob der gute Mann jemalen was ernstliches gelernt haͤtte; ich hatte schon ehedem Weigels Ausschweifungen wider Schulen und Universitaͤten kennen lernen. Allein es entstunde doch eine seltsame Unruhe in mir; ein aͤngstliches Misfallen an mir selbst, an allen noch so rechtmaͤßigen oder unschuldigen Handlungen; ich fieng an, eine innere Stille und Unthaͤtigkeit mir zu wuͤnschen; und hatte noch nichts von Molinos oder neuern Mystikern gelesen. Krause half dazu, um, wie er meinte, mich vollend zur Uebergabe zu bringen; allein eben die Lage, da man mir nie Sachen oder ihre kenntlichen Beschreibungen, sondern stets Tropen und viele sinnliche Bilder vorlegte, machte, das ich mich nie davon uͤberzeugen konnte, ich haͤtte nun die Gnade; denn <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0106" n="104"/><lb/> Worte, woraus Woltersdorf schloß, ich sey dem Heiland schon sehr nahe. Jch trat ans Clavier und spielte einige Herrnhuthische Melodien. </p> <p>Er war fast außer sich, und konnte dieß nicht begreifen, daß ich gar die Lieder auswendig konnte, ohne noch an dem Jnhalt und den sonst so gewoͤhnlichen Folgen Theil zu nehmen. Endlich hieß es, nichts gar nichts hindre mich noch, als das unselige Studiren; ich sollte es wegwerfen; der Heiland koͤnne besser lehren, als Menschen; darum ginge er auch nicht in Collegia, und genoͤsse dafuͤr unaussprechliche Seelenruhe und Unterricht des Heilandes. </p> <p>Studiren ganz weglegen war mir sehr auffallend, zumal ich nicht wußte, ob der gute Mann jemalen was ernstliches gelernt haͤtte; ich hatte schon ehedem Weigels Ausschweifungen wider Schulen und Universitaͤten kennen lernen. Allein es entstunde doch eine seltsame Unruhe in mir; ein aͤngstliches Misfallen an mir selbst, an allen noch so rechtmaͤßigen oder unschuldigen Handlungen; ich fieng an, eine innere Stille und Unthaͤtigkeit mir zu wuͤnschen; und hatte noch nichts von <hi rendition="#b">Molinos</hi> oder neuern <hi rendition="#b">Mystikern</hi> gelesen. </p> <p><hi rendition="#b">Krause</hi> half dazu, um, wie er meinte, mich vollend zur Uebergabe zu bringen; allein eben die Lage, da man mir nie Sachen oder ihre kenntlichen Beschreibungen, sondern stets Tropen und viele sinnliche Bilder vorlegte, machte, das ich mich nie davon uͤberzeugen konnte, ich haͤtte nun die <hi rendition="#b">Gnade</hi>; denn<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [104/0106]
Worte, woraus Woltersdorf schloß, ich sey dem Heiland schon sehr nahe. Jch trat ans Clavier und spielte einige Herrnhuthische Melodien.
Er war fast außer sich, und konnte dieß nicht begreifen, daß ich gar die Lieder auswendig konnte, ohne noch an dem Jnhalt und den sonst so gewoͤhnlichen Folgen Theil zu nehmen. Endlich hieß es, nichts gar nichts hindre mich noch, als das unselige Studiren; ich sollte es wegwerfen; der Heiland koͤnne besser lehren, als Menschen; darum ginge er auch nicht in Collegia, und genoͤsse dafuͤr unaussprechliche Seelenruhe und Unterricht des Heilandes.
Studiren ganz weglegen war mir sehr auffallend, zumal ich nicht wußte, ob der gute Mann jemalen was ernstliches gelernt haͤtte; ich hatte schon ehedem Weigels Ausschweifungen wider Schulen und Universitaͤten kennen lernen. Allein es entstunde doch eine seltsame Unruhe in mir; ein aͤngstliches Misfallen an mir selbst, an allen noch so rechtmaͤßigen oder unschuldigen Handlungen; ich fieng an, eine innere Stille und Unthaͤtigkeit mir zu wuͤnschen; und hatte noch nichts von Molinos oder neuern Mystikern gelesen.
Krause half dazu, um, wie er meinte, mich vollend zur Uebergabe zu bringen; allein eben die Lage, da man mir nie Sachen oder ihre kenntlichen Beschreibungen, sondern stets Tropen und viele sinnliche Bilder vorlegte, machte, das ich mich nie davon uͤberzeugen konnte, ich haͤtte nun die Gnade; denn
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien
(2015-06-09T11:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-06-09T11:00:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |