Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784.
Wenn wir aber von uns selber reden, so scheinet es, als ob wir es für überflüßig halten, die Wirklichkeit desjenigen, was wir von uns selber reden, oder dessen wir uns selbst schon hinlänglich bewußt sind, noch besonders zu bezeichnen; daher sagen wir, ich liebe, indem wir bloß ein e hinzusetzen, oder von lieben das n wegwerfen, wodurch sonst eigentlich die Wirklichkeit aufgehoben wird: denn wenn ich sage, das Lieben, oder zu lieben, so nenne ich beinahe bloß den Nahmen einer Handlung, ohne mir dabei vorzustellen, daß sie wirklich geschiehet. Demohngeachtet aber heißt es nun in der mehrfachen Zahl, wir lieben, ihr liebet und sie lieben: eigentlich sollte es heißen, wir liebent, und sie liebent, wie man es auch in alten deutschen Schriftstellern findet; allein der Begrif von der Mehrheit pflegt gern die übrigen Begriffe zu verdrängen, und das ist auch hier der Fall; weil die Handlung nicht einer einzigen Person, sondern mehrern zugeschrieben wird, so denkt man sich auch ihre Wirklichkeit nicht so genau und bestimmt, als ob sie nur einer einzigen Person wirklich zugeschrieben würde. Allein bei der Anrede wird auch in der mehrfachen, eben so wie in der einfachen Zahl, der
Wenn wir aber von uns selber reden, so scheinet es, als ob wir es fuͤr uͤberfluͤßig halten, die Wirklichkeit desjenigen, was wir von uns selber reden, oder dessen wir uns selbst schon hinlaͤnglich bewußt sind, noch besonders zu bezeichnen; daher sagen wir, ich liebe, indem wir bloß ein e hinzusetzen, oder von lieben das n wegwerfen, wodurch sonst eigentlich die Wirklichkeit aufgehoben wird: denn wenn ich sage, das Lieben, oder zu lieben, so nenne ich beinahe bloß den Nahmen einer Handlung, ohne mir dabei vorzustellen, daß sie wirklich geschiehet. Demohngeachtet aber heißt es nun in der mehrfachen Zahl, wir lieben, ihr liebet und sie lieben: eigentlich sollte es heißen, wir liebent, und sie liebent, wie man es auch in alten deutschen Schriftstellern findet; allein der Begrif von der Mehrheit pflegt gern die uͤbrigen Begriffe zu verdraͤngen, und das ist auch hier der Fall; weil die Handlung nicht einer einzigen Person, sondern mehrern zugeschrieben wird, so denkt man sich auch ihre Wirklichkeit nicht so genau und bestimmt, als ob sie nur einer einzigen Person wirklich zugeschrieben wuͤrde. Allein bei der Anrede wird auch in der mehrfachen, eben so wie in der einfachen Zahl, der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0122" n="120"/><lb/> het, und am Ende gleichsam noch einen gewissen Stoß oder einen Nachdruck darauf setzt. </p> <p>Wenn wir aber von uns selber reden, so scheinet es, als ob wir es fuͤr uͤberfluͤßig halten, die <hi rendition="#b">Wirklichkeit</hi> desjenigen, was wir von uns <hi rendition="#b">selber</hi> reden, oder dessen wir uns selbst schon hinlaͤnglich <hi rendition="#b">bewußt</hi> sind, noch besonders zu bezeichnen; daher sagen wir, <hi rendition="#b">ich liebe,</hi> indem wir bloß ein <hi rendition="#b">e</hi> hinzusetzen, oder von <hi rendition="#b">lieben</hi> das <hi rendition="#b">n</hi> wegwerfen, wodurch sonst eigentlich die Wirklichkeit aufgehoben wird: denn wenn ich sage, <hi rendition="#b">das Lieben</hi>, oder <hi rendition="#b">zu lieben</hi>, so nenne ich beinahe bloß den Nahmen einer Handlung, ohne mir dabei vorzustellen, daß sie <hi rendition="#b">wirklich geschiehet.</hi></p> <p>Demohngeachtet aber heißt es nun in der mehrfachen Zahl, <hi rendition="#b">wir lieben, ihr liebet</hi> und <hi rendition="#b">sie lieben:</hi> eigentlich sollte es heißen, <hi rendition="#b">wir liebent,</hi> und <hi rendition="#b">sie liebent,</hi> wie man es auch in alten deutschen Schriftstellern findet; allein der Begrif von der <hi rendition="#b">Mehrheit</hi> pflegt gern die uͤbrigen Begriffe zu verdraͤngen, und das ist auch hier der Fall; weil die Handlung nicht einer einzigen Person, sondern mehrern zugeschrieben wird, so denkt man sich auch ihre <hi rendition="#b">Wirklichkeit</hi> nicht so genau und bestimmt, als ob sie nur einer einzigen Person wirklich zugeschrieben wuͤrde. </p> <p>Allein bei der Anrede wird auch in der mehrfachen, eben so wie in der einfachen Zahl, der<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [120/0122]
het, und am Ende gleichsam noch einen gewissen Stoß oder einen Nachdruck darauf setzt.
Wenn wir aber von uns selber reden, so scheinet es, als ob wir es fuͤr uͤberfluͤßig halten, die Wirklichkeit desjenigen, was wir von uns selber reden, oder dessen wir uns selbst schon hinlaͤnglich bewußt sind, noch besonders zu bezeichnen; daher sagen wir, ich liebe, indem wir bloß ein e hinzusetzen, oder von lieben das n wegwerfen, wodurch sonst eigentlich die Wirklichkeit aufgehoben wird: denn wenn ich sage, das Lieben, oder zu lieben, so nenne ich beinahe bloß den Nahmen einer Handlung, ohne mir dabei vorzustellen, daß sie wirklich geschiehet.
Demohngeachtet aber heißt es nun in der mehrfachen Zahl, wir lieben, ihr liebet und sie lieben: eigentlich sollte es heißen, wir liebent, und sie liebent, wie man es auch in alten deutschen Schriftstellern findet; allein der Begrif von der Mehrheit pflegt gern die uͤbrigen Begriffe zu verdraͤngen, und das ist auch hier der Fall; weil die Handlung nicht einer einzigen Person, sondern mehrern zugeschrieben wird, so denkt man sich auch ihre Wirklichkeit nicht so genau und bestimmt, als ob sie nur einer einzigen Person wirklich zugeschrieben wuͤrde.
Allein bei der Anrede wird auch in der mehrfachen, eben so wie in der einfachen Zahl, der
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(2015-06-09T11:00:00Z)
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Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
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