Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784.
Sobald ich mir aber in der Anrede die Wirklichkeit von der Handlung hinwegdenke, fällt auch das st weg, und ich sage im befehlenden Tone, liebe du, und nicht, liebest du, weil die Handlung des Liebens durch meinen Befehl erst wirklich werden soll, aber es noch nicht ist; so sage ich, du giebst; aber im befehlenden Tone, wo das Geben noch nicht wirklich geschieht, sage ich, gieb! Sage ich nun, er liebet, so bezeichnet das t ebenfalls eine Wirklichkeit der Handlung, aber nicht mit solchem Nachdruck, wie das st, weil ich hier keine Person anrede, sondern nur von einer Person rede, die der Grund desjenigen ist, was ich rede, und die ich gleichsam in einem schwächern Lichte betrachte, als die Person, welche ich anrede. Denke ich mir aber die Wirklichkeit von der Handlung hinweg, und wünsche ich z.B. bloß, daß dieselbe geschehen möge, so fällt auch hier das nachdruckvolle t weg, und ich sage anstatt, er geht, oder er kömmt, bloß, er gehe! oder, er komme! Daß aber st und t die Wirklichkeit bezeichnen, scheinet daher zu kommen, weil sie verursachen, daß die Stimme länger auf dem Worte ru-
Sobald ich mir aber in der Anrede die Wirklichkeit von der Handlung hinwegdenke, faͤllt auch das st weg, und ich sage im befehlenden Tone, liebe du, und nicht, liebest du, weil die Handlung des Liebens durch meinen Befehl erst wirklich werden soll, aber es noch nicht ist; so sage ich, du giebst; aber im befehlenden Tone, wo das Geben noch nicht wirklich geschieht, sage ich, gieb! Sage ich nun, er liebet, so bezeichnet das t ebenfalls eine Wirklichkeit der Handlung, aber nicht mit solchem Nachdruck, wie das st, weil ich hier keine Person anrede, sondern nur von einer Person rede, die der Grund desjenigen ist, was ich rede, und die ich gleichsam in einem schwaͤchern Lichte betrachte, als die Person, welche ich anrede. Denke ich mir aber die Wirklichkeit von der Handlung hinweg, und wuͤnsche ich z.B. bloß, daß dieselbe geschehen moͤge, so faͤllt auch hier das nachdruckvolle t weg, und ich sage anstatt, er geht, oder er koͤmmt, bloß, er gehe! oder, er komme! Daß aber st und t die Wirklichkeit bezeichnen, scheinet daher zu kommen, weil sie verursachen, daß die Stimme laͤnger auf dem Worte ru- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0121" n="119"/><lb/> anrede, und die wirklich der Urheber dieser Handlung ist, wovon ich rede, so daß ich die Person und die Handlung nicht voneinander trennen kann. </p> <p>Sobald ich mir aber in der Anrede die <hi rendition="#b">Wirklichkeit</hi> von der Handlung hinwegdenke, faͤllt auch das <hi rendition="#b">st</hi> weg, und ich sage im befehlenden Tone, <hi rendition="#b">liebe du,</hi> und nicht, <hi rendition="#b">liebest du,</hi> weil die Handlung des Liebens durch meinen Befehl erst <hi rendition="#b">wirklich</hi> werden soll, aber es noch nicht ist; so sage ich, <hi rendition="#b">du giebst;</hi> aber im befehlenden Tone, wo das Geben noch nicht wirklich geschieht, sage ich, <hi rendition="#b">gieb!</hi> </p> <p>Sage ich nun, <hi rendition="#b">er liebet,</hi> so bezeichnet das <hi rendition="#b">t</hi> ebenfalls eine Wirklichkeit der <hi rendition="#b">Handlung</hi>, aber nicht mit solchem Nachdruck, wie das <hi rendition="#b">st,</hi> weil ich hier keine Person <hi rendition="#b">anrede,</hi> sondern nur <hi rendition="#b">von</hi> einer Person rede, die der Grund desjenigen ist, was ich rede, und die ich gleichsam in einem schwaͤchern Lichte betrachte, als die Person, welche ich anrede. </p> <p>Denke ich mir aber die <hi rendition="#b">Wirklichkeit</hi> von der Handlung hinweg, und wuͤnsche ich z.B. bloß, daß dieselbe geschehen moͤge, so faͤllt auch hier das nachdruckvolle <hi rendition="#b">t</hi> weg, und ich sage anstatt, <hi rendition="#b">er geht,</hi> oder <hi rendition="#b">er koͤmmt,</hi> bloß, <hi rendition="#b">er gehe!</hi> oder, <hi rendition="#b">er komme!</hi> </p> <p>Daß aber <hi rendition="#b">st</hi> und <hi rendition="#b">t</hi> die <hi rendition="#b">Wirklichkeit</hi> bezeichnen, scheinet daher zu kommen, weil sie verursachen, daß die Stimme laͤnger auf dem Worte ru-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [119/0121]
anrede, und die wirklich der Urheber dieser Handlung ist, wovon ich rede, so daß ich die Person und die Handlung nicht voneinander trennen kann.
Sobald ich mir aber in der Anrede die Wirklichkeit von der Handlung hinwegdenke, faͤllt auch das st weg, und ich sage im befehlenden Tone, liebe du, und nicht, liebest du, weil die Handlung des Liebens durch meinen Befehl erst wirklich werden soll, aber es noch nicht ist; so sage ich, du giebst; aber im befehlenden Tone, wo das Geben noch nicht wirklich geschieht, sage ich, gieb!
Sage ich nun, er liebet, so bezeichnet das t ebenfalls eine Wirklichkeit der Handlung, aber nicht mit solchem Nachdruck, wie das st, weil ich hier keine Person anrede, sondern nur von einer Person rede, die der Grund desjenigen ist, was ich rede, und die ich gleichsam in einem schwaͤchern Lichte betrachte, als die Person, welche ich anrede.
Denke ich mir aber die Wirklichkeit von der Handlung hinweg, und wuͤnsche ich z.B. bloß, daß dieselbe geschehen moͤge, so faͤllt auch hier das nachdruckvolle t weg, und ich sage anstatt, er geht, oder er koͤmmt, bloß, er gehe! oder, er komme!
Daß aber st und t die Wirklichkeit bezeichnen, scheinet daher zu kommen, weil sie verursachen, daß die Stimme laͤnger auf dem Worte ru-
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