Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite


nicht gefiele. Wie er es gemerkt, und, wenn er es gemerkt, angewandt habe: das soll Sie die Folge lehren. Jn dem ersten Froste vor Weihnachten, der ziemlich scharf war, merke ich mit einemmale ein starkes Gepolter in der Kammer, die an meiner und Herrn G. Stube stößt. Jch höre es noch einmal, und dabei die winselnde Stimme des kleinen M. Jch sehe heraus, und siehe, der arme Junge steht in der schrecklichen Kälte mit Thränen in den Augen, und mit von Frost aufgetriebenen Händen da. "Was machen Sie hier?" -- Herr G. hat mich zur Strafe hiehergestellt. -- "Warum das?" -- Jch habe mein Adjektivum nicht gekonnt. -- Das Blut stieg mir zu Kopf; allein ich faßte mich und sagte kein Wort weiter, als: mein Kind, das thut mir leid! Sie müssen hübsch fleißig sein. -- Und so hat der Knabe, nach Herrn G. eigener nachheriger Aussage, anderthalb Stunden in der Kälte stehn müssen. Jch gab ihm mit einem entfernten Blicke mein Misfallen darüber zu erkennen, und damit ließ ich es gut sein. Denken Sie aber, wie ich die That selbst ansehen mußte, da er ihm theils diese harte Strafe um des Lernens willen aufgelegt hat, theils der Knabe nur erst bei ihm, d.i. seit Michaelis die Buchstaben des Lateins erlernt hatte, theils dem Herrn G. vorausgesagt und ernstlich eingeschärft war, mit diesem Kinde, dessen Seelenkräfte seit ganzer acht Jahren beinahe völlig brachgelegen hatten, Geduld zu haben, und von ihm


nicht gefiele. Wie er es gemerkt, und, wenn er es gemerkt, angewandt habe: das soll Sie die Folge lehren. Jn dem ersten Froste vor Weihnachten, der ziemlich scharf war, merke ich mit einemmale ein starkes Gepolter in der Kammer, die an meiner und Herrn G. Stube stoͤßt. Jch hoͤre es noch einmal, und dabei die winselnde Stimme des kleinen M. Jch sehe heraus, und siehe, der arme Junge steht in der schrecklichen Kaͤlte mit Thraͤnen in den Augen, und mit von Frost aufgetriebenen Haͤnden da. »Was machen Sie hier?« ― Herr G. hat mich zur Strafe hiehergestellt. ― »Warum das?« ― Jch habe mein Adjektivum nicht gekonnt. ― Das Blut stieg mir zu Kopf; allein ich faßte mich und sagte kein Wort weiter, als: mein Kind, das thut mir leid! Sie muͤssen huͤbsch fleißig sein. ― Und so hat der Knabe, nach Herrn G. eigener nachheriger Aussage, anderthalb Stunden in der Kaͤlte stehn muͤssen. Jch gab ihm mit einem entfernten Blicke mein Misfallen daruͤber zu erkennen, und damit ließ ich es gut sein. Denken Sie aber, wie ich die That selbst ansehen mußte, da er ihm theils diese harte Strafe um des Lernens willen aufgelegt hat, theils der Knabe nur erst bei ihm, d.i. seit Michaelis die Buchstaben des Lateins erlernt hatte, theils dem Herrn G. vorausgesagt und ernstlich eingeschaͤrft war, mit diesem Kinde, dessen Seelenkraͤfte seit ganzer acht Jahren beinahe voͤllig brachgelegen hatten, Geduld zu haben, und von ihm

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <p><pb facs="#f0025" n="23"/><lb/>
nicht gefiele. Wie er es  gemerkt, und, wenn er es gemerkt, angewandt habe: das soll Sie die Folge  lehren. Jn dem ersten Froste vor Weihnachten, der ziemlich scharf war, merke  ich mit einemmale ein starkes Gepolter in der Kammer, die an meiner und  Herrn G. Stube sto&#x0364;ßt. Jch ho&#x0364;re es noch einmal, und dabei die winselnde  Stimme des kleinen M. Jch sehe heraus, und siehe, der arme Junge steht in  der schrecklichen Ka&#x0364;lte mit Thra&#x0364;nen in den Augen, und mit von Frost  aufgetriebenen Ha&#x0364;nden da. »Was machen Sie hier?« &#x2015; Herr G. hat mich zur  Strafe hiehergestellt. &#x2015; »Warum das?« &#x2015; Jch habe mein Adjektivum nicht  gekonnt. &#x2015; Das Blut stieg mir zu Kopf; allein ich faßte mich und sagte kein  Wort weiter, als: mein Kind, das thut mir leid! Sie mu&#x0364;ssen hu&#x0364;bsch fleißig  sein. &#x2015; Und so hat der Knabe, nach Herrn G. eigener nachheriger Aussage,  anderthalb Stunden in der Ka&#x0364;lte stehn mu&#x0364;ssen. Jch gab ihm mit einem  entfernten Blicke mein Misfallen daru&#x0364;ber zu erkennen, und damit ließ ich es  gut sein. Denken Sie aber, wie ich die That selbst ansehen mußte, da er ihm  theils diese harte Strafe um des Lernens willen aufgelegt hat, theils der  Knabe nur erst bei ihm, d.i. seit Michaelis die Buchstaben des Lateins  erlernt hatte, theils dem Herrn G. vorausgesagt und ernstlich eingescha&#x0364;rft  war, mit diesem Kinde, dessen Seelenkra&#x0364;fte seit ganzer acht Jahren beinahe  vo&#x0364;llig brachgelegen hatten, Geduld zu haben, und von ihm<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[23/0025] nicht gefiele. Wie er es gemerkt, und, wenn er es gemerkt, angewandt habe: das soll Sie die Folge lehren. Jn dem ersten Froste vor Weihnachten, der ziemlich scharf war, merke ich mit einemmale ein starkes Gepolter in der Kammer, die an meiner und Herrn G. Stube stoͤßt. Jch hoͤre es noch einmal, und dabei die winselnde Stimme des kleinen M. Jch sehe heraus, und siehe, der arme Junge steht in der schrecklichen Kaͤlte mit Thraͤnen in den Augen, und mit von Frost aufgetriebenen Haͤnden da. »Was machen Sie hier?« ― Herr G. hat mich zur Strafe hiehergestellt. ― »Warum das?« ― Jch habe mein Adjektivum nicht gekonnt. ― Das Blut stieg mir zu Kopf; allein ich faßte mich und sagte kein Wort weiter, als: mein Kind, das thut mir leid! Sie muͤssen huͤbsch fleißig sein. ― Und so hat der Knabe, nach Herrn G. eigener nachheriger Aussage, anderthalb Stunden in der Kaͤlte stehn muͤssen. Jch gab ihm mit einem entfernten Blicke mein Misfallen daruͤber zu erkennen, und damit ließ ich es gut sein. Denken Sie aber, wie ich die That selbst ansehen mußte, da er ihm theils diese harte Strafe um des Lernens willen aufgelegt hat, theils der Knabe nur erst bei ihm, d.i. seit Michaelis die Buchstaben des Lateins erlernt hatte, theils dem Herrn G. vorausgesagt und ernstlich eingeschaͤrft war, mit diesem Kinde, dessen Seelenkraͤfte seit ganzer acht Jahren beinahe voͤllig brachgelegen hatten, Geduld zu haben, und von ihm

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0201_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0201_1784/25
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0201_1784/25>, abgerufen am 21.11.2024.