Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784.
Allein sie würde es nicht gethan haben, hätte sie gewußt, wie manche grauenvolle Stunde und wie manche schlaflose Nacht dieser handlose Mann ihrem Sohne noch lange nachher gemacht hat. Jnsbesondre waren immer die letzten vier Wochen vor Weihnachten für Anton ein Fegefeuer, wogegen er gern den mit Wachslichtern besteckten und mit übersilberten Aepfeln und Nüssen behängten Tannenbaum entbehrt hätte. Da ging kein Tag hin, wo sich nicht ein sonderbares Getöse wie von Glocken, oder ein Scharren draußen vor der Thüre, oder eine dumpfe Stimme hätte hören lassen, die den sogenannten Ruprecht oder Vorgänger des heiligen Christes anzeigte, den Anton dann im ganzen Ernst für einen Geist oder ein übermenschliches Wesen hielt, und so ging auch diese ganze Zeit über keine Nacht hin, wo er nicht mit Schrecken und Angstschweiß vor der Stirne aus dem Schlaf erwachte. Dieß währte bis in sein achtes Jahr, wo erst sein Glaube an die Wirklichkeit des Ruprechts sowohl als des heiligen Christes an zu wanken fing. So theilte ihm seine Mutter auch eine kindische Furcht vor dem Gewitter mit. Seine einzige Zuflucht war alsdann, daß er so fest er konnte die
Allein sie wuͤrde es nicht gethan haben, haͤtte sie gewußt, wie manche grauenvolle Stunde und wie manche schlaflose Nacht dieser handlose Mann ihrem Sohne noch lange nachher gemacht hat. Jnsbesondre waren immer die letzten vier Wochen vor Weihnachten fuͤr Anton ein Fegefeuer, wogegen er gern den mit Wachslichtern besteckten und mit uͤbersilberten Aepfeln und Nuͤssen behaͤngten Tannenbaum entbehrt haͤtte. Da ging kein Tag hin, wo sich nicht ein sonderbares Getoͤse wie von Glocken, oder ein Scharren draußen vor der Thuͤre, oder eine dumpfe Stimme haͤtte hoͤren lassen, die den sogenannten Ruprecht oder Vorgaͤnger des heiligen Christes anzeigte, den Anton dann im ganzen Ernst fuͤr einen Geist oder ein uͤbermenschliches Wesen hielt, und so ging auch diese ganze Zeit uͤber keine Nacht hin, wo er nicht mit Schrecken und Angstschweiß vor der Stirne aus dem Schlaf erwachte. Dieß waͤhrte bis in sein achtes Jahr, wo erst sein Glaube an die Wirklichkeit des Ruprechts sowohl als des heiligen Christes an zu wanken fing. So theilte ihm seine Mutter auch eine kindische Furcht vor dem Gewitter mit. Seine einzige Zuflucht war alsdann, daß er so fest er konnte die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0081" n="79"/><lb/> Zauberinnen; und wenn der Wind oft mit sonderbarem Getoͤn durch die Huͤtte pfif, so nannte seine Mutter dieß, im allegorischen Sinn, den handlosen Mann, ohne weiter etwas dabei zu denken. </p> <p>Allein sie wuͤrde es nicht gethan haben, haͤtte sie gewußt, wie manche grauenvolle Stunde und wie manche schlaflose Nacht dieser handlose Mann ihrem Sohne noch lange nachher gemacht hat. </p> <p>Jnsbesondre waren immer die letzten vier Wochen vor Weihnachten fuͤr Anton ein Fegefeuer, wogegen er gern den mit Wachslichtern besteckten und mit uͤbersilberten Aepfeln und Nuͤssen behaͤngten Tannenbaum entbehrt haͤtte. </p> <p>Da ging kein Tag hin, wo sich nicht ein sonderbares Getoͤse wie von Glocken, oder ein Scharren draußen vor der Thuͤre, oder eine dumpfe Stimme haͤtte hoͤren lassen, die den sogenannten Ruprecht oder Vorgaͤnger des heiligen Christes anzeigte, den Anton dann im ganzen Ernst fuͤr einen Geist oder ein uͤbermenschliches Wesen hielt, und so ging auch diese ganze Zeit uͤber keine Nacht hin, wo er nicht mit Schrecken und Angstschweiß vor der Stirne aus dem Schlaf erwachte. </p> <p>Dieß waͤhrte bis in sein achtes Jahr, wo erst sein Glaube an die Wirklichkeit des Ruprechts sowohl als des heiligen Christes an zu wanken fing. </p> <p>So theilte ihm seine Mutter auch eine kindische Furcht vor dem Gewitter mit. Seine einzige Zuflucht war alsdann, daß er so fest er konnte die<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [79/0081]
Zauberinnen; und wenn der Wind oft mit sonderbarem Getoͤn durch die Huͤtte pfif, so nannte seine Mutter dieß, im allegorischen Sinn, den handlosen Mann, ohne weiter etwas dabei zu denken.
Allein sie wuͤrde es nicht gethan haben, haͤtte sie gewußt, wie manche grauenvolle Stunde und wie manche schlaflose Nacht dieser handlose Mann ihrem Sohne noch lange nachher gemacht hat.
Jnsbesondre waren immer die letzten vier Wochen vor Weihnachten fuͤr Anton ein Fegefeuer, wogegen er gern den mit Wachslichtern besteckten und mit uͤbersilberten Aepfeln und Nuͤssen behaͤngten Tannenbaum entbehrt haͤtte.
Da ging kein Tag hin, wo sich nicht ein sonderbares Getoͤse wie von Glocken, oder ein Scharren draußen vor der Thuͤre, oder eine dumpfe Stimme haͤtte hoͤren lassen, die den sogenannten Ruprecht oder Vorgaͤnger des heiligen Christes anzeigte, den Anton dann im ganzen Ernst fuͤr einen Geist oder ein uͤbermenschliches Wesen hielt, und so ging auch diese ganze Zeit uͤber keine Nacht hin, wo er nicht mit Schrecken und Angstschweiß vor der Stirne aus dem Schlaf erwachte.
Dieß waͤhrte bis in sein achtes Jahr, wo erst sein Glaube an die Wirklichkeit des Ruprechts sowohl als des heiligen Christes an zu wanken fing.
So theilte ihm seine Mutter auch eine kindische Furcht vor dem Gewitter mit. Seine einzige Zuflucht war alsdann, daß er so fest er konnte die
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(2015-06-09T11:00:00Z)
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