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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784.

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Hände faltete, und sie nicht ehr wieder auseinander ließ, bis das Gewitter vorüber war; dieß nebst dem über sich geschlagnen Kreutze war auch seine Zuflucht, und gleichsam eine feste Stütze, so oft er allein schlief, weil er dann glaubte, es könnten ihm weder Teufel noch Gespenster etwas anhaben.

Seine Mutter hatte einen sonderbaren Ausdruck, daß einem, der vor einem Gespenste fliehen will, die Fersen lang werden, dieß fühlte er im eigentlichen Verstande, so oft er im Dunkeln etwas Gespensterähnliches zu sehen glaubte. Auch pflegte sie von einem Sterbenden zu sagen, daß ihm der Tod schon auf der Zunge sitze; dieß nahm Anton ebenfalls im eigentlichen Verstande, und als der Mann seiner Base starb, stand er neben dem Bette, und sahe ihm sehr scharf in den Mund, um den Tod auf der Zunge desselben, etwa, wie eine kleine schwarze Gestalt, zu entdecken.

Die erste Vorstellung über seinen kindischen Gesichtskreis hinaus, bekam er ohngefähr im vierten Jahre, als seine Mutter noch mit ihm auf dem Dorfe wohnte, und eines Abends mit einer alten Nachbarin, ihm, und seinen Stiefbrüdern allein in der Stube saß.

Das Gespräch fiel auf Antons kleine Schwester, die vor kurzem in ihrem zweiten Jahre gestorben war, und worüber seine Mutter beinahe ein Jahrlang untröstlich blieb.



Haͤnde faltete, und sie nicht ehr wieder auseinander ließ, bis das Gewitter voruͤber war; dieß nebst dem uͤber sich geschlagnen Kreutze war auch seine Zuflucht, und gleichsam eine feste Stuͤtze, so oft er allein schlief, weil er dann glaubte, es koͤnnten ihm weder Teufel noch Gespenster etwas anhaben.

Seine Mutter hatte einen sonderbaren Ausdruck, daß einem, der vor einem Gespenste fliehen will, die Fersen lang werden, dieß fuͤhlte er im eigentlichen Verstande, so oft er im Dunkeln etwas Gespensteraͤhnliches zu sehen glaubte. Auch pflegte sie von einem Sterbenden zu sagen, daß ihm der Tod schon auf der Zunge sitze; dieß nahm Anton ebenfalls im eigentlichen Verstande, und als der Mann seiner Base starb, stand er neben dem Bette, und sahe ihm sehr scharf in den Mund, um den Tod auf der Zunge desselben, etwa, wie eine kleine schwarze Gestalt, zu entdecken.

Die erste Vorstellung uͤber seinen kindischen Gesichtskreis hinaus, bekam er ohngefaͤhr im vierten Jahre, als seine Mutter noch mit ihm auf dem Dorfe wohnte, und eines Abends mit einer alten Nachbarin, ihm, und seinen Stiefbruͤdern allein in der Stube saß.

Das Gespraͤch fiel auf Antons kleine Schwester, die vor kurzem in ihrem zweiten Jahre gestorben war, und woruͤber seine Mutter beinahe ein Jahrlang untroͤstlich blieb.


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[80/0082] Haͤnde faltete, und sie nicht ehr wieder auseinander ließ, bis das Gewitter voruͤber war; dieß nebst dem uͤber sich geschlagnen Kreutze war auch seine Zuflucht, und gleichsam eine feste Stuͤtze, so oft er allein schlief, weil er dann glaubte, es koͤnnten ihm weder Teufel noch Gespenster etwas anhaben. Seine Mutter hatte einen sonderbaren Ausdruck, daß einem, der vor einem Gespenste fliehen will, die Fersen lang werden, dieß fuͤhlte er im eigentlichen Verstande, so oft er im Dunkeln etwas Gespensteraͤhnliches zu sehen glaubte. Auch pflegte sie von einem Sterbenden zu sagen, daß ihm der Tod schon auf der Zunge sitze; dieß nahm Anton ebenfalls im eigentlichen Verstande, und als der Mann seiner Base starb, stand er neben dem Bette, und sahe ihm sehr scharf in den Mund, um den Tod auf der Zunge desselben, etwa, wie eine kleine schwarze Gestalt, zu entdecken. Die erste Vorstellung uͤber seinen kindischen Gesichtskreis hinaus, bekam er ohngefaͤhr im vierten Jahre, als seine Mutter noch mit ihm auf dem Dorfe wohnte, und eines Abends mit einer alten Nachbarin, ihm, und seinen Stiefbruͤdern allein in der Stube saß. Das Gespraͤch fiel auf Antons kleine Schwester, die vor kurzem in ihrem zweiten Jahre gestorben war, und woruͤber seine Mutter beinahe ein Jahrlang untroͤstlich blieb.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0201_1784/82>, abgerufen am 21.11.2024.