Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784.
Durch diese einzige so oft wiederhohlte zufällige Lektüre bekam sein Geschmack in der Poesie eine gewisse Bildung und Festigkeit, die er seit der Zeit nicht wieder verloren hat; so wie in der Prose durch den Telemach; denn er fühlte bei der schönen Banise und Jnsel Felsenburg, ohngeachtet des Vergnügens, das er darinn fand, doch sehr lebhaft das Abstechende und Unedlere in der Schreibart. Von poetischer Prose fiel ihm Carl v. Mosers Daniel in der Löwengrube in die Hände, den er verschiednemale durchlas, und woraus auch sein Vater zuweilen vorzulesen pflegte. Die Wirthin im Hause, eine Schusterfrau, ließ sich von Anton gerne daraus vorlesen, weil es ihr so moralisch klang: moralisch hieß nehmlich bei ihr so viel als erhaben; und von einen gewissen Prediger, der immer in einem sehr schwülstigen Tone sprach, sagte sie, daß er ihr gefiele, weil er so moralisch predige; auch ein Beweiß, wie sehr man sich in Büchern und Reden für das Volk dergleichen Ausdrücke zu enthalten habe, die unter uns nicht populär sind; in England weiß der ungebildetste Mensch, was morals heißt. Diese Schusterfrau war übrigens eine sehr verständige Frau, und ihr Sohn, der das Handwerk trieb, ein heller Kopf, den aber seine zu starke Empfindlichkeit schon frühzeitig zu religiösen
Durch diese einzige so oft wiederhohlte zufaͤllige Lektuͤre bekam sein Geschmack in der Poesie eine gewisse Bildung und Festigkeit, die er seit der Zeit nicht wieder verloren hat; so wie in der Prose durch den Telemach; denn er fuͤhlte bei der schoͤnen Banise und Jnsel Felsenburg, ohngeachtet des Vergnuͤgens, das er darinn fand, doch sehr lebhaft das Abstechende und Unedlere in der Schreibart. Von poetischer Prose fiel ihm Carl v. Mosers Daniel in der Loͤwengrube in die Haͤnde, den er verschiednemale durchlas, und woraus auch sein Vater zuweilen vorzulesen pflegte. Die Wirthin im Hause, eine Schusterfrau, ließ sich von Anton gerne daraus vorlesen, weil es ihr so moralisch klang: moralisch hieß nehmlich bei ihr so viel als erhaben; und von einen gewissen Prediger, der immer in einem sehr schwuͤlstigen Tone sprach, sagte sie, daß er ihr gefiele, weil er so moralisch predige; auch ein Beweiß, wie sehr man sich in Buͤchern und Reden fuͤr das Volk dergleichen Ausdruͤcke zu enthalten habe, die unter uns nicht populaͤr sind; in England weiß der ungebildetste Mensch, was morals heißt. Diese Schusterfrau war uͤbrigens eine sehr verstaͤndige Frau, und ihr Sohn, der das Handwerk trieb, ein heller Kopf, den aber seine zu starke Empfindlichkeit schon fruͤhzeitig zu religioͤsen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0088" n="86"/><lb/> so weit, daß er ihn so oft, und mit solchem Entzuͤcken las, bis er ihn beinahe auswendig wußte. </p> <p>Durch diese einzige so oft wiederhohlte zufaͤllige Lektuͤre bekam sein Geschmack in der Poesie eine gewisse Bildung und Festigkeit, die er seit der Zeit nicht wieder verloren hat; so wie in der Prose durch den Telemach; denn er fuͤhlte bei der schoͤnen Banise und Jnsel Felsenburg, ohngeachtet des Vergnuͤgens, <choice><corr>das</corr><sic>daß</sic></choice> er darinn fand, doch sehr lebhaft das Abstechende und Unedlere in der Schreibart. </p> <p>Von poetischer Prose fiel ihm Carl v. Mosers Daniel in der Loͤwengrube in die Haͤnde, den er verschiednemale durchlas, und woraus auch sein Vater zuweilen vorzulesen pflegte. </p> <p>Die Wirthin im Hause, eine Schusterfrau, ließ sich von Anton gerne daraus vorlesen, weil es ihr so moralisch klang: moralisch hieß nehmlich bei ihr so viel als erhaben; und von einen gewissen Prediger, der immer in einem sehr schwuͤlstigen Tone sprach, sagte sie, daß er ihr gefiele, weil er so moralisch predige; auch ein Beweiß, wie sehr man sich in Buͤchern und Reden fuͤr das Volk dergleichen Ausdruͤcke zu enthalten habe, die unter uns nicht populaͤr sind; in England weiß der ungebildetste Mensch, was <hi rendition="#aq">morals</hi> heißt. </p> <p>Diese Schusterfrau war uͤbrigens eine sehr verstaͤndige Frau, und ihr Sohn, der das Handwerk trieb, ein heller Kopf, den aber seine zu starke Empfindlichkeit schon fruͤhzeitig zu religioͤsen<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [86/0088]
so weit, daß er ihn so oft, und mit solchem Entzuͤcken las, bis er ihn beinahe auswendig wußte.
Durch diese einzige so oft wiederhohlte zufaͤllige Lektuͤre bekam sein Geschmack in der Poesie eine gewisse Bildung und Festigkeit, die er seit der Zeit nicht wieder verloren hat; so wie in der Prose durch den Telemach; denn er fuͤhlte bei der schoͤnen Banise und Jnsel Felsenburg, ohngeachtet des Vergnuͤgens, das er darinn fand, doch sehr lebhaft das Abstechende und Unedlere in der Schreibart.
Von poetischer Prose fiel ihm Carl v. Mosers Daniel in der Loͤwengrube in die Haͤnde, den er verschiednemale durchlas, und woraus auch sein Vater zuweilen vorzulesen pflegte.
Die Wirthin im Hause, eine Schusterfrau, ließ sich von Anton gerne daraus vorlesen, weil es ihr so moralisch klang: moralisch hieß nehmlich bei ihr so viel als erhaben; und von einen gewissen Prediger, der immer in einem sehr schwuͤlstigen Tone sprach, sagte sie, daß er ihr gefiele, weil er so moralisch predige; auch ein Beweiß, wie sehr man sich in Buͤchern und Reden fuͤr das Volk dergleichen Ausdruͤcke zu enthalten habe, die unter uns nicht populaͤr sind; in England weiß der ungebildetste Mensch, was morals heißt.
Diese Schusterfrau war uͤbrigens eine sehr verstaͤndige Frau, und ihr Sohn, der das Handwerk trieb, ein heller Kopf, den aber seine zu starke Empfindlichkeit schon fruͤhzeitig zu religioͤsen
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