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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785.

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die Ursach des Schmerzes noch nicht aufgehört hat, und wir durch keine vorhergehenden Vorstellungen zu dieser wohlthätigen Empfindung gestimmt wurden. Freilich dauert dieser Zustand selten lange; der Schmerz fängt bald wieder von neuem zu wüthen an, hört auch verschiednemal wieder auf, bis wir ihn nach und nach erträglicher finden. Jn dieser schwankenden Bewegung der angenehmen und unangenehmen Empfindungen, sehen wir sehr oft, vornehmlich lebhafte Geister, und die noch weiche Seele junger Kinder, die man oft in einer Minute weinen und lachen sieht.

Noch ein andrer hierher gehöriger Erfahrungssatz ist der, daß ein solcher Wechsel zwischen angenehmen und unangenehmen Empfindungen gemeiniglich leichter erfolgt, wenn die Seele irgend auf eine Art entweder durch lebhafte Freuden, oder Leiden sehr erschüttert ist, als wenn sie sich, um mich so auszudrücken, in einem Gleichgewicht ihrer Empfindungen und Vorstellungen befindet, und sich also mehr in ihrer Gewalt hat. Für die meisten Menschen sind sehr froh durchlebte Stunden gefährliche Vorboten trüber Gedanken und Empfindungen, von denen sie nicht selten mitten im Genuß der Freude unwillkürlich überrascht werden, und wodurch sich auf einmal alle Kanäle des Frohseins in ihren Herzen verstopfen. -- Umgekehrt zerreissen oft die Bande womit uns ein heftiger Schmerz gefangen hielt, ehe wir's uns versehn, -- und


die Ursach des Schmerzes noch nicht aufgehoͤrt hat, und wir durch keine vorhergehenden Vorstellungen zu dieser wohlthaͤtigen Empfindung gestimmt wurden. Freilich dauert dieser Zustand selten lange; der Schmerz faͤngt bald wieder von neuem zu wuͤthen an, hoͤrt auch verschiednemal wieder auf, bis wir ihn nach und nach ertraͤglicher finden. Jn dieser schwankenden Bewegung der angenehmen und unangenehmen Empfindungen, sehen wir sehr oft, vornehmlich lebhafte Geister, und die noch weiche Seele junger Kinder, die man oft in einer Minute weinen und lachen sieht.

Noch ein andrer hierher gehoͤriger Erfahrungssatz ist der, daß ein solcher Wechsel zwischen angenehmen und unangenehmen Empfindungen gemeiniglich leichter erfolgt, wenn die Seele irgend auf eine Art entweder durch lebhafte Freuden, oder Leiden sehr erschuͤttert ist, als wenn sie sich, um mich so auszudruͤcken, in einem Gleichgewicht ihrer Empfindungen und Vorstellungen befindet, und sich also mehr in ihrer Gewalt hat. Fuͤr die meisten Menschen sind sehr froh durchlebte Stunden gefaͤhrliche Vorboten truͤber Gedanken und Empfindungen, von denen sie nicht selten mitten im Genuß der Freude unwillkuͤrlich uͤberrascht werden, und wodurch sich auf einmal alle Kanaͤle des Frohseins in ihren Herzen verstopfen. — Umgekehrt zerreissen oft die Bande womit uns ein heftiger Schmerz gefangen hielt, ehe wir's uns versehn, — und

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[102/0104] die Ursach des Schmerzes noch nicht aufgehoͤrt hat, und wir durch keine vorhergehenden Vorstellungen zu dieser wohlthaͤtigen Empfindung gestimmt wurden. Freilich dauert dieser Zustand selten lange; der Schmerz faͤngt bald wieder von neuem zu wuͤthen an, hoͤrt auch verschiednemal wieder auf, bis wir ihn nach und nach ertraͤglicher finden. Jn dieser schwankenden Bewegung der angenehmen und unangenehmen Empfindungen, sehen wir sehr oft, vornehmlich lebhafte Geister, und die noch weiche Seele junger Kinder, die man oft in einer Minute weinen und lachen sieht. Noch ein andrer hierher gehoͤriger Erfahrungssatz ist der, daß ein solcher Wechsel zwischen angenehmen und unangenehmen Empfindungen gemeiniglich leichter erfolgt, wenn die Seele irgend auf eine Art entweder durch lebhafte Freuden, oder Leiden sehr erschuͤttert ist, als wenn sie sich, um mich so auszudruͤcken, in einem Gleichgewicht ihrer Empfindungen und Vorstellungen befindet, und sich also mehr in ihrer Gewalt hat. Fuͤr die meisten Menschen sind sehr froh durchlebte Stunden gefaͤhrliche Vorboten truͤber Gedanken und Empfindungen, von denen sie nicht selten mitten im Genuß der Freude unwillkuͤrlich uͤberrascht werden, und wodurch sich auf einmal alle Kanaͤle des Frohseins in ihren Herzen verstopfen. — Umgekehrt zerreissen oft die Bande womit uns ein heftiger Schmerz gefangen hielt, ehe wir's uns versehn, — und

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0301_1785/104>, abgerufen am 14.05.2024.