Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785.
Auf der andern Seite erregt wiederum nicht jeder Schmerz Thränen, wenn er nehmlich nicht stark genug ist, wenn er durch eine Menge Nebenempfindungen, durch Vorstellungen, die uns leicht zerstreuen, gleichsam in seinem Wege nach dem Auge hin, aufgehalten wird; -- oder wenn er auch zu stark ist, daß er unsere Seele betäubt. Der stumme Schmerz, der sich nicht ausdrücken kann, der noch keine wohlthätige Thräne in unsre Augen kommen läßt, der Schmerz der gleichsam an dem Jnnern unsrer Seele nagt, ist auch der qualvollste, -- wir seufzen alsdann nach dem Ergusse unsrer Thränen, und wenn diese sich erst ergießen; so scheint auch seine mörderische Wuth an uns nachzulassen. Lachen und Weinen, dünkt mich, sind beides Erscheinungen an den Menschen, welche gar sehr die Aufmerksamkeit des Psychologen verdienen, indem sie dem Menschen allein zukommen, und ehe er noch reden kann, schon die deutliche Sprache seiner Leidenschaften, Schmerzen und Bedürfnisse sind, und gewiß aus sehr guten Absichten des Schöpfers
Auf der andern Seite erregt wiederum nicht jeder Schmerz Thraͤnen, wenn er nehmlich nicht stark genug ist, wenn er durch eine Menge Nebenempfindungen, durch Vorstellungen, die uns leicht zerstreuen, gleichsam in seinem Wege nach dem Auge hin, aufgehalten wird; — oder wenn er auch zu stark ist, daß er unsere Seele betaͤubt. Der stumme Schmerz, der sich nicht ausdruͤcken kann, der noch keine wohlthaͤtige Thraͤne in unsre Augen kommen laͤßt, der Schmerz der gleichsam an dem Jnnern unsrer Seele nagt, ist auch der qualvollste, — wir seufzen alsdann nach dem Ergusse unsrer Thraͤnen, und wenn diese sich erst ergießen; so scheint auch seine moͤrderische Wuth an uns nachzulassen. Lachen und Weinen, duͤnkt mich, sind beides Erscheinungen an den Menschen, welche gar sehr die Aufmerksamkeit des Psychologen verdienen, indem sie dem Menschen allein zukommen, und ehe er noch reden kann, schon die deutliche Sprache seiner Leidenschaften, Schmerzen und Beduͤrfnisse sind, und gewiß aus sehr guten Absichten des Schoͤpfers <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0093" n="91"/><lb/> Hierher kann man alle die Faͤlle rechnen, wo wir uns, — auch wohl in einem sehr hohen Grade, und bei der staͤrksten Ueberraschung, uͤber ernsthafte Gegenstaͤnde, z.B. uͤber den reizenden Anblik der Natur, uͤber ein Meisterstuͤck der Kunst, uͤber Handlungen eines edeldenkenden Herzens, uͤber Entdeckungen neuer Wahrheiten, u.s.w. freuen. — </p> <p>Auf der andern Seite erregt wiederum <hi rendition="#b">nicht jeder</hi> Schmerz Thraͤnen, wenn er nehmlich <hi rendition="#b">nicht stark</hi> genug ist, wenn er durch eine Menge Nebenempfindungen, durch Vorstellungen, die uns leicht zerstreuen, gleichsam in seinem Wege nach dem Auge hin, aufgehalten wird; — oder wenn er auch <hi rendition="#b">zu stark</hi> ist, daß er unsere Seele betaͤubt. Der stumme Schmerz, der sich nicht ausdruͤcken kann, der noch keine wohlthaͤtige Thraͤne in unsre Augen kommen laͤßt, der Schmerz der gleichsam an dem Jnnern unsrer Seele nagt, ist auch der qualvollste, — wir seufzen alsdann nach dem Ergusse unsrer Thraͤnen, und wenn diese sich erst ergießen; so scheint auch seine moͤrderische Wuth an uns nachzulassen. </p> <p>Lachen und Weinen, duͤnkt mich, sind beides Erscheinungen an den Menschen, welche gar sehr die Aufmerksamkeit des Psychologen verdienen, indem sie dem Menschen allein zukommen, und ehe er noch reden kann, schon die deutliche Sprache seiner Leidenschaften, Schmerzen und Beduͤrfnisse sind, und gewiß aus sehr guten Absichten des Schoͤpfers<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [91/0093]
Hierher kann man alle die Faͤlle rechnen, wo wir uns, — auch wohl in einem sehr hohen Grade, und bei der staͤrksten Ueberraschung, uͤber ernsthafte Gegenstaͤnde, z.B. uͤber den reizenden Anblik der Natur, uͤber ein Meisterstuͤck der Kunst, uͤber Handlungen eines edeldenkenden Herzens, uͤber Entdeckungen neuer Wahrheiten, u.s.w. freuen. —
Auf der andern Seite erregt wiederum nicht jeder Schmerz Thraͤnen, wenn er nehmlich nicht stark genug ist, wenn er durch eine Menge Nebenempfindungen, durch Vorstellungen, die uns leicht zerstreuen, gleichsam in seinem Wege nach dem Auge hin, aufgehalten wird; — oder wenn er auch zu stark ist, daß er unsere Seele betaͤubt. Der stumme Schmerz, der sich nicht ausdruͤcken kann, der noch keine wohlthaͤtige Thraͤne in unsre Augen kommen laͤßt, der Schmerz der gleichsam an dem Jnnern unsrer Seele nagt, ist auch der qualvollste, — wir seufzen alsdann nach dem Ergusse unsrer Thraͤnen, und wenn diese sich erst ergießen; so scheint auch seine moͤrderische Wuth an uns nachzulassen.
Lachen und Weinen, duͤnkt mich, sind beides Erscheinungen an den Menschen, welche gar sehr die Aufmerksamkeit des Psychologen verdienen, indem sie dem Menschen allein zukommen, und ehe er noch reden kann, schon die deutliche Sprache seiner Leidenschaften, Schmerzen und Beduͤrfnisse sind, und gewiß aus sehr guten Absichten des Schoͤpfers
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