Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.
Nur überraschende Hitze übereilte ihn zuweilen bei kleinen Anläßen. Doch wurden überzeugende Proben von Geistesfähigkeit abgelegt, indem er unter andern drei angehörte Predigten zu Hause so umständlich aufsetzte, nach Verlauf einer Stunde darauf, daß der Geistliche sie beim Durchlesen vollkommen seinen gehaltenen gleich fand. Mein Amt erfoderte in diesen Monaten öftere Reisen aufs Land, wo er reitend und fahrend mich begleitete, vergnügt und artig war, nur zu freigebig sich gegen die Einwohner erwieß, welches seiner Börse nicht angemessen sich befand; doch streute er ohne alles Geräusch und heimlich seine Geschenke aus. Zuweilen zeigte er in der Stadt beim Grüßen noch zu viel Höflichkeit, ohne den zu bemerkenden Unterschied des Standes; und nur ein Anschein von Beleidigung von jemand veranlaste zu hitzige Gegenbegegnung. Jn einigen Wochen darauf verlor sich aber dieses alles völlig; und durch ein bei einer gewissen Gelegenheit von mir gegen ihn geäußertes grosses Zutrauen in seine überlegende Beurtheilung ward er sichtlich dahin gebracht, sorgfältig auf sein Betragen gegen jedermann von selbst acht zu haben, und seitdem ist er vollständig der alte gute, gesittete Jüngling. Gott lasse ihn so fortfahren!
Nur uͤberraschende Hitze uͤbereilte ihn zuweilen bei kleinen Anlaͤßen. Doch wurden uͤberzeugende Proben von Geistesfaͤhigkeit abgelegt, indem er unter andern drei angehoͤrte Predigten zu Hause so umstaͤndlich aufsetzte, nach Verlauf einer Stunde darauf, daß der Geistliche sie beim Durchlesen vollkommen seinen gehaltenen gleich fand. Mein Amt erfoderte in diesen Monaten oͤftere Reisen aufs Land, wo er reitend und fahrend mich begleitete, vergnuͤgt und artig war, nur zu freigebig sich gegen die Einwohner erwieß, welches seiner Boͤrse nicht angemessen sich befand; doch streute er ohne alles Geraͤusch und heimlich seine Geschenke aus. Zuweilen zeigte er in der Stadt beim Gruͤßen noch zu viel Hoͤflichkeit, ohne den zu bemerkenden Unterschied des Standes; und nur ein Anschein von Beleidigung von jemand veranlaste zu hitzige Gegenbegegnung. Jn einigen Wochen darauf verlor sich aber dieses alles voͤllig; und durch ein bei einer gewissen Gelegenheit von mir gegen ihn geaͤußertes grosses Zutrauen in seine uͤberlegende Beurtheilung ward er sichtlich dahin gebracht, sorgfaͤltig auf sein Betragen gegen jedermann von selbst acht zu haben, und seitdem ist er vollstaͤndig der alte gute, gesittete Juͤngling. Gott lasse ihn so fortfahren! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0055" n="55"/><lb/> rung zusammen vergnuͤgt und wie im gesundem Zustande. </p> <p>Nur uͤberraschende Hitze uͤbereilte ihn zuweilen bei kleinen Anlaͤßen. Doch wurden uͤberzeugende Proben von Geistesfaͤhigkeit abgelegt, indem er unter andern drei angehoͤrte Predigten zu Hause so umstaͤndlich aufsetzte, nach Verlauf einer Stunde darauf, daß der Geistliche sie beim Durchlesen vollkommen seinen gehaltenen gleich fand. </p> <p>Mein Amt erfoderte in diesen Monaten oͤftere Reisen aufs Land, wo er reitend und fahrend mich begleitete, vergnuͤgt und artig war, nur zu freigebig sich gegen die Einwohner erwieß, welches seiner Boͤrse nicht angemessen sich befand; doch streute er ohne alles Geraͤusch und heimlich seine Geschenke aus. </p> <p>Zuweilen zeigte er in der Stadt beim Gruͤßen noch zu viel Hoͤflichkeit, ohne den zu bemerkenden Unterschied des Standes; und nur ein Anschein von Beleidigung von jemand veranlaste zu hitzige Gegenbegegnung. Jn einigen Wochen darauf verlor sich aber dieses alles voͤllig; und durch ein bei einer gewissen Gelegenheit von mir gegen ihn geaͤußertes grosses Zutrauen in seine uͤberlegende Beurtheilung ward er sichtlich dahin gebracht, sorgfaͤltig auf sein Betragen gegen jedermann von selbst acht zu haben, und seitdem ist er vollstaͤndig der alte gute, gesittete Juͤngling. Gott lasse ihn so fortfahren! </p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [55/0055]
rung zusammen vergnuͤgt und wie im gesundem Zustande.
Nur uͤberraschende Hitze uͤbereilte ihn zuweilen bei kleinen Anlaͤßen. Doch wurden uͤberzeugende Proben von Geistesfaͤhigkeit abgelegt, indem er unter andern drei angehoͤrte Predigten zu Hause so umstaͤndlich aufsetzte, nach Verlauf einer Stunde darauf, daß der Geistliche sie beim Durchlesen vollkommen seinen gehaltenen gleich fand.
Mein Amt erfoderte in diesen Monaten oͤftere Reisen aufs Land, wo er reitend und fahrend mich begleitete, vergnuͤgt und artig war, nur zu freigebig sich gegen die Einwohner erwieß, welches seiner Boͤrse nicht angemessen sich befand; doch streute er ohne alles Geraͤusch und heimlich seine Geschenke aus.
Zuweilen zeigte er in der Stadt beim Gruͤßen noch zu viel Hoͤflichkeit, ohne den zu bemerkenden Unterschied des Standes; und nur ein Anschein von Beleidigung von jemand veranlaste zu hitzige Gegenbegegnung. Jn einigen Wochen darauf verlor sich aber dieses alles voͤllig; und durch ein bei einer gewissen Gelegenheit von mir gegen ihn geaͤußertes grosses Zutrauen in seine uͤberlegende Beurtheilung ward er sichtlich dahin gebracht, sorgfaͤltig auf sein Betragen gegen jedermann von selbst acht zu haben, und seitdem ist er vollstaͤndig der alte gute, gesittete Juͤngling. Gott lasse ihn so fortfahren!
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