Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.Folgende Anmerkungen will ich noch beifügen: Viel gelitten habe ich, und anfänglich konnte ich mich gar nicht überreden, daß dieses so schrecklich abgeänderte Betragen, und diese Aeußerungen eines sonst so gutgearteten Sohnes, natürliche Ereignisse der Art von Krankheit wären. Jch kränkte mich innerlich; Verführung am fremden Ort, dachte ich, bringe manche Zote, manches pflichtwidrige Kindesbetragen hervor. Nur seine so oft wiederholten Betheuerungen von längst angewohnter Verstellung, und das lästerliche Ausstoßen gegen Schöpfer und Religion richteten mich auf, da ich ihn bis in das 16te Jahr um mich gehabt und seinen moralischen Charakter genau kennen gelernt hatte, daß es unmöglich sey, so plötzlich vom Guten ins Schlimme überzugehen, um so mehr, weil er die drittehalb Jahre seiner Abwesenheit wöchentlich die besten Zeugnisse von Fleiß und Aufführung von sämmtlichen Lehrern in zugeschickten sogenannten Conduitenzettels bei der achttägigen festgesetzten Conferenz ununterbrochen erhalten hatte. Auch die Funken von sonstiger Zuneigung, Gehorsam und Furcht gegen mich, welche bei den hellen Zwischenräumen durchsprühten, beruhigten mich dann und wann, und Hofnung gewann die Oberhand, da selbige bei dem voll Menschenliebe weisen Arzt, wegen der Jahre des Kranken und seiner mehrmaligen Erfahrung dergleichen Zufälle, nie sank, auch Folgende Anmerkungen will ich noch beifuͤgen: Viel gelitten habe ich, und anfaͤnglich konnte ich mich gar nicht uͤberreden, daß dieses so schrecklich abgeaͤnderte Betragen, und diese Aeußerungen eines sonst so gutgearteten Sohnes, natuͤrliche Ereignisse der Art von Krankheit waͤren. Jch kraͤnkte mich innerlich; Verfuͤhrung am fremden Ort, dachte ich, bringe manche Zote, manches pflichtwidrige Kindesbetragen hervor. Nur seine so oft wiederholten Betheuerungen von laͤngst angewohnter Verstellung, und das laͤsterliche Ausstoßen gegen Schoͤpfer und Religion richteten mich auf, da ich ihn bis in das 16te Jahr um mich gehabt und seinen moralischen Charakter genau kennen gelernt hatte, daß es unmoͤglich sey, so ploͤtzlich vom Guten ins Schlimme uͤberzugehen, um so mehr, weil er die drittehalb Jahre seiner Abwesenheit woͤchentlich die besten Zeugnisse von Fleiß und Auffuͤhrung von saͤmmtlichen Lehrern in zugeschickten sogenannten Conduitenzettels bei der achttaͤgigen festgesetzten Conferenz ununterbrochen erhalten hatte. Auch die Funken von sonstiger Zuneigung, Gehorsam und Furcht gegen mich, welche bei den hellen Zwischenraͤumen durchspruͤhten, beruhigten mich dann und wann, und Hofnung gewann die Oberhand, da selbige bei dem voll Menschenliebe weisen Arzt, wegen der Jahre des Kranken und seiner mehrmaligen Erfahrung dergleichen Zufaͤlle, nie sank, auch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0056" n="56"/><lb/> <p>Folgende Anmerkungen will ich noch beifuͤgen: Viel gelitten habe ich, und anfaͤnglich konnte ich mich gar nicht uͤberreden, daß dieses so schrecklich abgeaͤnderte Betragen, und diese Aeußerungen eines sonst so gutgearteten Sohnes, natuͤrliche Ereignisse der Art von Krankheit waͤren. </p> <p>Jch kraͤnkte mich innerlich; Verfuͤhrung am fremden Ort, dachte ich, bringe manche Zote, manches pflichtwidrige Kindesbetragen hervor. Nur seine so oft wiederholten Betheuerungen von laͤngst angewohnter Verstellung, und das laͤsterliche Ausstoßen gegen Schoͤpfer und Religion richteten mich auf, da ich ihn bis in das 16te Jahr um mich gehabt und seinen moralischen Charakter genau kennen gelernt hatte, daß es unmoͤglich sey, so ploͤtzlich vom Guten ins Schlimme uͤberzugehen, um so mehr, weil er die drittehalb Jahre seiner Abwesenheit woͤchentlich die besten Zeugnisse von Fleiß und Auffuͤhrung von saͤmmtlichen Lehrern in zugeschickten sogenannten Conduitenzettels bei der achttaͤgigen festgesetzten Conferenz ununterbrochen erhalten hatte. Auch die Funken von sonstiger Zuneigung, Gehorsam und Furcht gegen mich, welche bei den hellen Zwischenraͤumen durchspruͤhten, beruhigten mich dann und wann, und Hofnung gewann die Oberhand, da selbige bei dem voll Menschenliebe weisen Arzt, wegen der Jahre des Kranken und seiner mehrmaligen Erfahrung dergleichen Zufaͤlle, nie sank, auch<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [56/0056]
Folgende Anmerkungen will ich noch beifuͤgen: Viel gelitten habe ich, und anfaͤnglich konnte ich mich gar nicht uͤberreden, daß dieses so schrecklich abgeaͤnderte Betragen, und diese Aeußerungen eines sonst so gutgearteten Sohnes, natuͤrliche Ereignisse der Art von Krankheit waͤren.
Jch kraͤnkte mich innerlich; Verfuͤhrung am fremden Ort, dachte ich, bringe manche Zote, manches pflichtwidrige Kindesbetragen hervor. Nur seine so oft wiederholten Betheuerungen von laͤngst angewohnter Verstellung, und das laͤsterliche Ausstoßen gegen Schoͤpfer und Religion richteten mich auf, da ich ihn bis in das 16te Jahr um mich gehabt und seinen moralischen Charakter genau kennen gelernt hatte, daß es unmoͤglich sey, so ploͤtzlich vom Guten ins Schlimme uͤberzugehen, um so mehr, weil er die drittehalb Jahre seiner Abwesenheit woͤchentlich die besten Zeugnisse von Fleiß und Auffuͤhrung von saͤmmtlichen Lehrern in zugeschickten sogenannten Conduitenzettels bei der achttaͤgigen festgesetzten Conferenz ununterbrochen erhalten hatte. Auch die Funken von sonstiger Zuneigung, Gehorsam und Furcht gegen mich, welche bei den hellen Zwischenraͤumen durchspruͤhten, beruhigten mich dann und wann, und Hofnung gewann die Oberhand, da selbige bei dem voll Menschenliebe weisen Arzt, wegen der Jahre des Kranken und seiner mehrmaligen Erfahrung dergleichen Zufaͤlle, nie sank, auch
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0302_1785/56>, abgerufen am 15.08.2024. |