Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.
Jch bekomm einen Brief von einem Freunde! Siehe da, meine Ahndung ist eingetroffen. Und grade als wenn mein Freund gewust hätte, daß ich so eine Ahndung hatte. Er detaillirte alles. Tag und sogar Nachmittags ---- jetzt ist das Mädchen ganz aus meiner Seele. -- Jch, der ich sie so zärtlich, ich möchte sagen 1 1/2 Jahr ganz rasend liebte, trauerte gar nicht, ärgerte mich gar nicht? -- Gern wolt' ich Jhnen den Ort meines Aufenthalts und meinen Namen beisetzen aber -- III. ![]() ![]() Der blinde Pfeffel und sein Bruder gingen mit einem Freunde, der ein rechtschaffner und augeklärter Geistlicher ist, auf einem mit Bäumen besetzten Platze öfters spazieren. Sie bemerkten, daß der Geistliche, wenn sie auch noch so stark im Gespräche waren, immer nur bis auf einen gewissen Fleck ging und dann wieder umkehrte. Sie gingen weiter, er nie. Auch sah er in der Ferne oft schon nach dem Orte hin, wo er umzukehren pflegte. Dies schien den beiden Brüdern sonderbar, und sie befragten ihn um die Ursach. Er weigerte sich lange herauszurücken, aber eben dies Weigern und die Einwendung, sie würden ihn auslachen, reizte
Jch bekomm einen Brief von einem Freunde! Siehe da, meine Ahndung ist eingetroffen. Und grade als wenn mein Freund gewust haͤtte, daß ich so eine Ahndung hatte. Er detaillirte alles. Tag und sogar Nachmittags —— jetzt ist das Maͤdchen ganz aus meiner Seele. — Jch, der ich sie so zaͤrtlich, ich moͤchte sagen 1 1/2 Jahr ganz rasend liebte, trauerte gar nicht, aͤrgerte mich gar nicht? — Gern wolt' ich Jhnen den Ort meines Aufenthalts und meinen Namen beisetzen aber — III. ![]() ![]() Der blinde Pfeffel und sein Bruder gingen mit einem Freunde, der ein rechtschaffner und augeklaͤrter Geistlicher ist, auf einem mit Baͤumen besetzten Platze oͤfters spazieren. Sie bemerkten, daß der Geistliche, wenn sie auch noch so stark im Gespraͤche waren, immer nur bis auf einen gewissen Fleck ging und dann wieder umkehrte. Sie gingen weiter, er nie. Auch sah er in der Ferne oft schon nach dem Orte hin, wo er umzukehren pflegte. Dies schien den beiden Bruͤdern sonderbar, und sie befragten ihn um die Ursach. Er weigerte sich lange herauszuruͤcken, aber eben dies Weigern und die Einwendung, sie wuͤrden ihn auslachen, reizte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0106" n="106"/><lb/> war aus meiner Seele — ich konnte, ich mochte nicht an sie denken! </p> <p>Jch bekomm einen Brief von einem Freunde! Siehe da, meine Ahndung ist eingetroffen. Und grade als wenn mein Freund gewust haͤtte, daß ich so eine Ahndung hatte. Er detaillirte alles. Tag und sogar Nachmittags —— jetzt ist das Maͤdchen ganz aus meiner </p> <p>Seele. — Jch, der ich sie so zaͤrtlich, ich moͤchte sagen 1 1/2 Jahr ganz rasend liebte, trauerte gar nicht, aͤrgerte mich gar nicht? — Gern wolt' ich Jhnen den Ort meines Aufenthalts und meinen Namen beisetzen aber — </p><lb/> </div> <div n="3"> <head><hi rendition="#aq">III</hi>.</head><lb/> <note type="editorial"><Anekdote uͤber Pfeffel></note> <note type="editorial"> <bibl> <persName ref="#ref72"><note type="editorial"/>Anonym</persName> </bibl> </note> <p>Der blinde Pfeffel und sein Bruder gingen mit einem Freunde, der ein rechtschaffner und augeklaͤrter Geistlicher ist, auf einem mit Baͤumen besetzten Platze oͤfters spazieren. Sie bemerkten, daß der Geistliche, wenn sie auch noch so stark im Gespraͤche waren, immer nur bis auf einen gewissen Fleck ging und dann wieder umkehrte. Sie gingen weiter, er nie. Auch sah er in der Ferne oft schon nach dem Orte hin, wo er umzukehren pflegte. Dies schien den beiden Bruͤdern sonderbar, und sie befragten ihn um die Ursach. Er weigerte sich lange herauszuruͤcken, aber eben dies Weigern und die Einwendung, sie wuͤrden ihn auslachen, reizte<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [106/0106]
war aus meiner Seele — ich konnte, ich mochte nicht an sie denken!
Jch bekomm einen Brief von einem Freunde! Siehe da, meine Ahndung ist eingetroffen. Und grade als wenn mein Freund gewust haͤtte, daß ich so eine Ahndung hatte. Er detaillirte alles. Tag und sogar Nachmittags —— jetzt ist das Maͤdchen ganz aus meiner
Seele. — Jch, der ich sie so zaͤrtlich, ich moͤchte sagen 1 1/2 Jahr ganz rasend liebte, trauerte gar nicht, aͤrgerte mich gar nicht? — Gern wolt' ich Jhnen den Ort meines Aufenthalts und meinen Namen beisetzen aber —
III.
Der blinde Pfeffel und sein Bruder gingen mit einem Freunde, der ein rechtschaffner und augeklaͤrter Geistlicher ist, auf einem mit Baͤumen besetzten Platze oͤfters spazieren. Sie bemerkten, daß der Geistliche, wenn sie auch noch so stark im Gespraͤche waren, immer nur bis auf einen gewissen Fleck ging und dann wieder umkehrte. Sie gingen weiter, er nie. Auch sah er in der Ferne oft schon nach dem Orte hin, wo er umzukehren pflegte. Dies schien den beiden Bruͤdern sonderbar, und sie befragten ihn um die Ursach. Er weigerte sich lange herauszuruͤcken, aber eben dies Weigern und die Einwendung, sie wuͤrden ihn auslachen, reizte
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785/106>, abgerufen am 26.06.2024. |