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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.

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Sprache in psychologischer Rücksicht.

Treffende Gemählde von den mannichfaltigen Tönen in der Natur zu liefern, scheint zwar das Ziel zu seyn, wohin sich die einfachen Laute zu ganzen Wörtern in der Sprache vereinigten.

Allein wie wenige hörbare Gegenstände werden verhältnismäßig durch die Wörter bezeichnet? Und nach was für einen Gesetz sollen sich also die einfachen Laute z.B. in den Wörtern Keller, Küche, Kasten, Licht, Luft u.s.w. zu diesen Worten vereinigen, da alle diese Gegenstände mit keinem Schalle in der Natur können verglichen werden? -- Sie können freilich mit keinem Schall verglichen werden, den wir bloß hören.

Allein zwischen dem Schalle, den wir selber hervorbringen, und zwischen den sichtbaren Gegenständen läßt sich ehr eine Aehnlichkeit gedenken. Wir empfinden nemlich in unserm Munde die jedesmalige Gestalt der Sprachwerkzeuge, wodurch wir irgend einen Schall hervorbringen. Doch diese Empfindung, welche vielleicht im Anfange nur äusserst dunkel seyn mochte, veranlaßte den Menschen, die Gestalt eines sichtbaren Gegenstandes in seine Sprachwerkzeuge überzutragen, und sie mit dem Ton zu benennen, den dieselben in dieser Lage hervorbrachten.



Sprache in psychologischer Ruͤcksicht.

Treffende Gemaͤhlde von den mannichfaltigen Toͤnen in der Natur zu liefern, scheint zwar das Ziel zu seyn, wohin sich die einfachen Laute zu ganzen Woͤrtern in der Sprache vereinigten.

Allein wie wenige hoͤrbare Gegenstaͤnde werden verhaͤltnismaͤßig durch die Woͤrter bezeichnet? Und nach was fuͤr einen Gesetz sollen sich also die einfachen Laute z.B. in den Woͤrtern Keller, Kuͤche, Kasten, Licht, Luft u.s.w. zu diesen Worten vereinigen, da alle diese Gegenstaͤnde mit keinem Schalle in der Natur koͤnnen verglichen werden? — Sie koͤnnen freilich mit keinem Schall verglichen werden, den wir bloß hoͤren.

Allein zwischen dem Schalle, den wir selber hervorbringen, und zwischen den sichtbaren Gegenstaͤnden laͤßt sich ehr eine Aehnlichkeit gedenken. Wir empfinden nemlich in unserm Munde die jedesmalige Gestalt der Sprachwerkzeuge, wodurch wir irgend einen Schall hervorbringen. Doch diese Empfindung, welche vielleicht im Anfange nur aͤusserst dunkel seyn mochte, veranlaßte den Menschen, die Gestalt eines sichtbaren Gegenstandes in seine Sprachwerkzeuge uͤberzutragen, und sie mit dem Ton zu benennen, den dieselben in dieser Lage hervorbrachten.


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[110/0110] Sprache in psychologischer Ruͤcksicht. Treffende Gemaͤhlde von den mannichfaltigen Toͤnen in der Natur zu liefern, scheint zwar das Ziel zu seyn, wohin sich die einfachen Laute zu ganzen Woͤrtern in der Sprache vereinigten. Allein wie wenige hoͤrbare Gegenstaͤnde werden verhaͤltnismaͤßig durch die Woͤrter bezeichnet? Und nach was fuͤr einen Gesetz sollen sich also die einfachen Laute z.B. in den Woͤrtern Keller, Kuͤche, Kasten, Licht, Luft u.s.w. zu diesen Worten vereinigen, da alle diese Gegenstaͤnde mit keinem Schalle in der Natur koͤnnen verglichen werden? — Sie koͤnnen freilich mit keinem Schall verglichen werden, den wir bloß hoͤren. Allein zwischen dem Schalle, den wir selber hervorbringen, und zwischen den sichtbaren Gegenstaͤnden laͤßt sich ehr eine Aehnlichkeit gedenken. Wir empfinden nemlich in unserm Munde die jedesmalige Gestalt der Sprachwerkzeuge, wodurch wir irgend einen Schall hervorbringen. Doch diese Empfindung, welche vielleicht im Anfange nur aͤusserst dunkel seyn mochte, veranlaßte den Menschen, die Gestalt eines sichtbaren Gegenstandes in seine Sprachwerkzeuge uͤberzutragen, und sie mit dem Ton zu benennen, den dieselben in dieser Lage hervorbrachten.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785/110>, abgerufen am 23.11.2024.