Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.
Alle unsere Gesichtsbegriffe können, wie mich dünkt, unter folgende Klassen gebracht werden, nemlich unter die, welche wir -- durch die Ausdehnung und Figur -- durch die Bewegung und -- durch die Farben der Körper bekommen. Meine Absicht ist gegenwärtig nur von der erstern Art unserer Gesichtsbegriffe zu handeln. Alles, was wir sehen, sehen wir unter einer gewissen Figur und körperlichen Ausdehnung. Unser Auge ist so künstlich gebaut, daß es kleine und grosse Gegenstände mit leichter Mühe überschauen, unterscheiden, und sogar ihre Entfernungen von einander messen kann, obgleich zu dem letztern eine längere Uebung, und Vergleichung eines angenomnen Maasstabes gehört, den wir durch eine vielfältige Erfahrung festgesetzt haben. Einem Blindgebornen, der auf einmal sehend würde, würden
Alle unsere Gesichtsbegriffe koͤnnen, wie mich duͤnkt, unter folgende Klassen gebracht werden, nemlich unter die, welche wir — durch die Ausdehnung und Figur — durch die Bewegung und — durch die Farben der Koͤrper bekommen. Meine Absicht ist gegenwaͤrtig nur von der erstern Art unserer Gesichtsbegriffe zu handeln. Alles, was wir sehen, sehen wir unter einer gewissen Figur und koͤrperlichen Ausdehnung. Unser Auge ist so kuͤnstlich gebaut, daß es kleine und grosse Gegenstaͤnde mit leichter Muͤhe uͤberschauen, unterscheiden, und sogar ihre Entfernungen von einander messen kann, obgleich zu dem letztern eine laͤngere Uebung, und Vergleichung eines angenomnen Maasstabes gehoͤrt, den wir durch eine vielfaͤltige Erfahrung festgesetzt haben. Einem Blindgebornen, der auf einmal sehend wuͤrde, wuͤrden <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0051" n="51"/><lb/> ten eines einfachen Wesens bezeichnen konnte, und um sie zu bezeichnen, hat jene alle die Modificationen, vermoͤge welcher sie sichtbare Gegenstaͤnde durch das Geschlecht, die Person, die Bindewoͤrtchen, und das Verbum unterscheidet, auf uͤbersinnliche Gegenstaͤnde uͤbergetragen, damit sie ja nie den Faden unsrer abstrakten Gedanken gleichsam sich selbst uͤberlassen, sondern immer in etwas Sinnliches anknuͤpfen moͤchte. Sprache ist also ihrer Natur nach, wenn sie auch die abstraktesten Saͤtze ausdruckt, ein fuͤr unsern Verstand hoͤchst noͤthiges <hi rendition="#b">Versinnlichungsmittel</hi> dieser Saͤtze.</p> <p>Alle unsere Gesichtsbegriffe koͤnnen, wie mich duͤnkt, unter folgende Klassen gebracht werden, nemlich unter die, welche wir — durch die <hi rendition="#b">Ausdehnung</hi> und <hi rendition="#b">Figur</hi> — durch die <hi rendition="#b">Bewegung</hi> und — durch <hi rendition="#b">die Farben</hi> der Koͤrper bekommen. Meine Absicht ist gegenwaͤrtig nur von der erstern Art unserer Gesichtsbegriffe zu handeln. </p> <p>Alles, was wir sehen, sehen wir unter einer gewissen <hi rendition="#b">Figur</hi> und <hi rendition="#b">koͤrperlichen Ausdehnung.</hi> Unser Auge ist so kuͤnstlich gebaut, daß es kleine und grosse Gegenstaͤnde mit leichter Muͤhe uͤberschauen, unterscheiden, und sogar ihre Entfernungen von einander messen kann, obgleich zu dem letztern eine laͤngere Uebung, und Vergleichung eines angenomnen Maasstabes gehoͤrt, den wir durch eine vielfaͤltige Erfahrung festgesetzt haben. Einem Blindgebornen, der auf einmal sehend wuͤrde, wuͤrden<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [51/0051]
ten eines einfachen Wesens bezeichnen konnte, und um sie zu bezeichnen, hat jene alle die Modificationen, vermoͤge welcher sie sichtbare Gegenstaͤnde durch das Geschlecht, die Person, die Bindewoͤrtchen, und das Verbum unterscheidet, auf uͤbersinnliche Gegenstaͤnde uͤbergetragen, damit sie ja nie den Faden unsrer abstrakten Gedanken gleichsam sich selbst uͤberlassen, sondern immer in etwas Sinnliches anknuͤpfen moͤchte. Sprache ist also ihrer Natur nach, wenn sie auch die abstraktesten Saͤtze ausdruckt, ein fuͤr unsern Verstand hoͤchst noͤthiges Versinnlichungsmittel dieser Saͤtze.
Alle unsere Gesichtsbegriffe koͤnnen, wie mich duͤnkt, unter folgende Klassen gebracht werden, nemlich unter die, welche wir — durch die Ausdehnung und Figur — durch die Bewegung und — durch die Farben der Koͤrper bekommen. Meine Absicht ist gegenwaͤrtig nur von der erstern Art unserer Gesichtsbegriffe zu handeln.
Alles, was wir sehen, sehen wir unter einer gewissen Figur und koͤrperlichen Ausdehnung. Unser Auge ist so kuͤnstlich gebaut, daß es kleine und grosse Gegenstaͤnde mit leichter Muͤhe uͤberschauen, unterscheiden, und sogar ihre Entfernungen von einander messen kann, obgleich zu dem letztern eine laͤngere Uebung, und Vergleichung eines angenomnen Maasstabes gehoͤrt, den wir durch eine vielfaͤltige Erfahrung festgesetzt haben. Einem Blindgebornen, der auf einmal sehend wuͤrde, wuͤrden
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien
(2015-06-09T11:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-06-09T11:00:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |