Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite


derholte Vergleichung der äußern Formen, alle die sogenannten abstrakten Begriffe von Raume, Größe, Ausdehnung, Figur, Verhältniß, Schönheit, Häßlichkeit, und selbst der von der Bewegung, in uns entstanden sind.

Eben jene Zergliederung unserer Jdeen würde uns nun aber auch lehren, daß das abstrakteste Denken sich unausbleiblich allemal auf sinnliche oder versinnlichte Gesichtsbegriffe bezieht, und daß wir ihm nur in so fern vorzugsweise den Nahmen des übersinnlichen geben können, als wir uns der dabei zum Grunde liegenden sinnlichen Jdeen in der schnellen Folge unsrer Gedanken nicht mit Deutlichkeit bewust sind.

Um dieß noch deutlicher einzusehen, so erwäge man nur, wie sehr sich unsere Begriffe untereinander verwirren, wie viel sie von ihrer Klarheit verlieren, sobald wir mit unsern Vorstellungen ganz über das Sichtbare hinausgehen wollen, und wie unruhig der menschliche Geist dabei auf der andern Seite immer mehr nach sinnlichen Bildern hascht, um etwas zu haben, woran er sich in dem unsichern Gange seiner Spekulation halten kann. Wie unbestimmt, unzuverläßig, und unsrer Wisbegirde ungenugthuend ist für uns der Begrif eines Geistes, sobald wir uns ihn ohne alle Verbindung mit einem Körper denken wollen! -- Wie sehr hat sich erst die Sprache verfeinern, und der menschliche Verstand üben müssen, ehe man die Eigenschaf-


derholte Vergleichung der aͤußern Formen, alle die sogenannten abstrakten Begriffe von Raume, Groͤße, Ausdehnung, Figur, Verhaͤltniß, Schoͤnheit, Haͤßlichkeit, und selbst der von der Bewegung, in uns entstanden sind.

Eben jene Zergliederung unserer Jdeen wuͤrde uns nun aber auch lehren, daß das abstrakteste Denken sich unausbleiblich allemal auf sinnliche oder versinnlichte Gesichtsbegriffe bezieht, und daß wir ihm nur in so fern vorzugsweise den Nahmen des uͤbersinnlichen geben koͤnnen, als wir uns der dabei zum Grunde liegenden sinnlichen Jdeen in der schnellen Folge unsrer Gedanken nicht mit Deutlichkeit bewust sind.

Um dieß noch deutlicher einzusehen, so erwaͤge man nur, wie sehr sich unsere Begriffe untereinander verwirren, wie viel sie von ihrer Klarheit verlieren, sobald wir mit unsern Vorstellungen ganz uͤber das Sichtbare hinausgehen wollen, und wie unruhig der menschliche Geist dabei auf der andern Seite immer mehr nach sinnlichen Bildern hascht, um etwas zu haben, woran er sich in dem unsichern Gange seiner Spekulation halten kann. Wie unbestimmt, unzuverlaͤßig, und unsrer Wisbegirde ungenugthuend ist fuͤr uns der Begrif eines Geistes, sobald wir uns ihn ohne alle Verbindung mit einem Koͤrper denken wollen! — Wie sehr hat sich erst die Sprache verfeinern, und der menschliche Verstand uͤben muͤssen, ehe man die Eigenschaf-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0050" n="50"/><lb/>
derholte <hi rendition="#b">Vergleichung</hi> der a&#x0364;ußern Formen, alle die sogenannten                   abstrakten Begriffe von <hi rendition="#b">Raume, Gro&#x0364;ße, Ausdehnung, Figur,                      Verha&#x0364;ltniß, Scho&#x0364;nheit, Ha&#x0364;ßlichkeit,</hi> und selbst der von der <hi rendition="#b">Bewegung,</hi> in uns entstanden sind. </p>
            <p>Eben jene Zergliederung unserer Jdeen wu&#x0364;rde uns nun aber auch lehren, daß das                   abstrakteste Denken sich unausbleiblich allemal auf <hi rendition="#b">sinnliche</hi> oder <hi rendition="#b">versinnlichte</hi> Gesichtsbegriffe                   bezieht, und daß wir ihm nur in so fern vorzugsweise den Nahmen des <hi rendition="#b">u&#x0364;bersinnlichen</hi> geben ko&#x0364;nnen, als wir uns der dabei zum                   Grunde liegenden sinnlichen Jdeen in der <hi rendition="#b">schnellen Folge</hi> unsrer Gedanken nicht mit Deutlichkeit bewust sind. </p>
            <p>Um dieß noch deutlicher einzusehen, so erwa&#x0364;ge man nur, wie sehr sich unsere                   Begriffe untereinander verwirren, wie viel sie von ihrer Klarheit verlieren,                   sobald wir mit unsern Vorstellungen ganz u&#x0364;ber das <hi rendition="#b">Sichtbare</hi> hinausgehen wollen, und wie unruhig der menschliche Geist                   dabei auf der andern Seite immer <choice><corr>mehr nach                         sinnlichen</corr><sic>mehr sinnlichen</sic></choice> Bildern hascht,                   um <hi rendition="#b">etwas</hi> zu haben, woran er sich in dem unsichern Gange                   seiner Spekulation halten kann. Wie unbestimmt, unzuverla&#x0364;ßig, und unsrer                   Wisbegirde ungenugthuend ist fu&#x0364;r uns der Begrif eines Geistes, sobald wir uns ihn                   ohne alle Verbindung mit einem Ko&#x0364;rper denken wollen! &#x2014; Wie sehr hat sich erst die                   Sprache <hi rendition="#b">verfeinern,</hi> und der menschliche Verstand u&#x0364;ben <hi rendition="#b">mu&#x0364;ssen,</hi> ehe man die Eigenschaf-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[50/0050] derholte Vergleichung der aͤußern Formen, alle die sogenannten abstrakten Begriffe von Raume, Groͤße, Ausdehnung, Figur, Verhaͤltniß, Schoͤnheit, Haͤßlichkeit, und selbst der von der Bewegung, in uns entstanden sind. Eben jene Zergliederung unserer Jdeen wuͤrde uns nun aber auch lehren, daß das abstrakteste Denken sich unausbleiblich allemal auf sinnliche oder versinnlichte Gesichtsbegriffe bezieht, und daß wir ihm nur in so fern vorzugsweise den Nahmen des uͤbersinnlichen geben koͤnnen, als wir uns der dabei zum Grunde liegenden sinnlichen Jdeen in der schnellen Folge unsrer Gedanken nicht mit Deutlichkeit bewust sind. Um dieß noch deutlicher einzusehen, so erwaͤge man nur, wie sehr sich unsere Begriffe untereinander verwirren, wie viel sie von ihrer Klarheit verlieren, sobald wir mit unsern Vorstellungen ganz uͤber das Sichtbare hinausgehen wollen, und wie unruhig der menschliche Geist dabei auf der andern Seite immer mehr nach sinnlichen Bildern hascht, um etwas zu haben, woran er sich in dem unsichern Gange seiner Spekulation halten kann. Wie unbestimmt, unzuverlaͤßig, und unsrer Wisbegirde ungenugthuend ist fuͤr uns der Begrif eines Geistes, sobald wir uns ihn ohne alle Verbindung mit einem Koͤrper denken wollen! — Wie sehr hat sich erst die Sprache verfeinern, und der menschliche Verstand uͤben muͤssen, ehe man die Eigenschaf-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785/50
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785/50>, abgerufen am 24.11.2024.