Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.
Dein Bruder, gieng's dunkel in meiner Seele, schläft -- kann sich nicht wehren, -- niemand sieht es -- wie wenn ---- ach, Gott! ---- Der Gedanke Mord -- Brudermord -- vergegenwärtigte mir alle bange Vorstellungen und verstärkte die üble Stimmung meiner Seele so sehr, daß ich völlig in eine moralische Betäubung fiel, worin ich fast ganz ohne Absicht handelte, mir wenigstens keiner deutlich bewußt war. Diese nie empfundene Vorstellung mußte sich, eben ihrer Sonderbarkeit und Neuheit wegen, da ich sie mit keiner der vorräthigen Jdeen konbiniren konnte, um so fester setzen. Dahin war nun alle Gegenwart des Geistes, und Furcht und verzweifelndes Schrecken bestürmte mich mit blinder tyrannischer Wuth. Die Einsamkeit und die Dunkelheit der Nacht ließen mir, während dieses Kampfes der erhitzten Einbildungskraft mit der Vernunft, auch keine neue Eindrücke zukommen, machten vielmehr die herrschende Vorstellung nur noch grausender und schrecklicher.*) So entsprang aus der Furcht es zu thun, es thun zu müssen, plötzlich der Entschluß. -- -- *) Eine Art von melancholischer Wuth, die nur gegen Abend ausbricht, und nicht über 8 bis 14 Tage anhält, ist eine eigne Krankheit einiger Waldbewohner in Amerika, die aus Rache an den Zauberinnen, welchen man sie zu schreibt, viele Mordthaten begehen.
Dein Bruder, gieng's dunkel in meiner Seele, schlaͤft — kann sich nicht wehren, — niemand sieht es — wie wenn —— ach, Gott! —— Der Gedanke Mord — Brudermord — vergegenwaͤrtigte mir alle bange Vorstellungen und verstaͤrkte die uͤble Stimmung meiner Seele so sehr, daß ich voͤllig in eine moralische Betaͤubung fiel, worin ich fast ganz ohne Absicht handelte, mir wenigstens keiner deutlich bewußt war. Diese nie empfundene Vorstellung mußte sich, eben ihrer Sonderbarkeit und Neuheit wegen, da ich sie mit keiner der vorraͤthigen Jdeen konbiniren konnte, um so fester setzen. Dahin war nun alle Gegenwart des Geistes, und Furcht und verzweifelndes Schrecken bestuͤrmte mich mit blinder tyrannischer Wuth. Die Einsamkeit und die Dunkelheit der Nacht ließen mir, waͤhrend dieses Kampfes der erhitzten Einbildungskraft mit der Vernunft, auch keine neue Eindruͤcke zukommen, machten vielmehr die herrschende Vorstellung nur noch grausender und schrecklicher.*) So entsprang aus der Furcht es zu thun, es thun zu muͤssen, ploͤtzlich der Entschluß. — — *) Eine Art von melancholischer Wuth, die nur gegen Abend ausbricht, und nicht uͤber 8 bis 14 Tage anhaͤlt, ist eine eigne Krankheit einiger Waldbewohner in Amerika, die aus Rache an den Zauberinnen, welchen man sie zu schreibt, viele Mordthaten begehen.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0066" n="66"/><lb/> mir je laͤnger je schwerer wurde, diese eingeschlichne Jdee zu verdraͤngen. </p> <p>Dein Bruder, gieng's dunkel in meiner Seele, schlaͤft — kann sich nicht wehren, — niemand sieht es — wie wenn —— ach, Gott! —— Der Gedanke Mord — Brudermord — vergegenwaͤrtigte mir alle bange Vorstellungen und verstaͤrkte die uͤble Stimmung meiner Seele so sehr, daß ich voͤllig in eine moralische Betaͤubung fiel, worin ich fast ganz ohne Absicht handelte, mir wenigstens keiner deutlich bewußt war. Diese nie empfundene Vorstellung mußte sich, eben ihrer Sonderbarkeit und Neuheit wegen, da ich sie mit keiner der vorraͤthigen Jdeen konbiniren konnte, um so fester setzen. Dahin war nun alle Gegenwart des Geistes, und Furcht und verzweifelndes Schrecken bestuͤrmte mich mit blinder tyrannischer Wuth. Die Einsamkeit und die Dunkelheit der Nacht ließen mir, waͤhrend dieses Kampfes der erhitzten Einbildungskraft mit der Vernunft, auch keine neue Eindruͤcke zukommen, machten vielmehr die herrschende Vorstellung nur noch grausender und schrecklicher.*)<note place="foot"><p>*) Eine Art von melancholischer Wuth, die nur gegen Abend ausbricht, und nicht uͤber 8 bis 14 Tage anhaͤlt, ist eine eigne Krankheit einiger Waldbewohner in Amerika, die aus Rache an den Zauberinnen, welchen man sie zu schreibt, viele Mordthaten begehen.</p></note> So entsprang aus der Furcht es zu thun, es thun zu muͤssen, ploͤtzlich der Entschluß. — — </p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [66/0066]
mir je laͤnger je schwerer wurde, diese eingeschlichne Jdee zu verdraͤngen.
Dein Bruder, gieng's dunkel in meiner Seele, schlaͤft — kann sich nicht wehren, — niemand sieht es — wie wenn —— ach, Gott! —— Der Gedanke Mord — Brudermord — vergegenwaͤrtigte mir alle bange Vorstellungen und verstaͤrkte die uͤble Stimmung meiner Seele so sehr, daß ich voͤllig in eine moralische Betaͤubung fiel, worin ich fast ganz ohne Absicht handelte, mir wenigstens keiner deutlich bewußt war. Diese nie empfundene Vorstellung mußte sich, eben ihrer Sonderbarkeit und Neuheit wegen, da ich sie mit keiner der vorraͤthigen Jdeen konbiniren konnte, um so fester setzen. Dahin war nun alle Gegenwart des Geistes, und Furcht und verzweifelndes Schrecken bestuͤrmte mich mit blinder tyrannischer Wuth. Die Einsamkeit und die Dunkelheit der Nacht ließen mir, waͤhrend dieses Kampfes der erhitzten Einbildungskraft mit der Vernunft, auch keine neue Eindruͤcke zukommen, machten vielmehr die herrschende Vorstellung nur noch grausender und schrecklicher.*) So entsprang aus der Furcht es zu thun, es thun zu muͤssen, ploͤtzlich der Entschluß. — —
*) Eine Art von melancholischer Wuth, die nur gegen Abend ausbricht, und nicht uͤber 8 bis 14 Tage anhaͤlt, ist eine eigne Krankheit einiger Waldbewohner in Amerika, die aus Rache an den Zauberinnen, welchen man sie zu schreibt, viele Mordthaten begehen.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien
(2015-06-09T11:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-06-09T11:00:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |