Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.
Diese sind -- und waren meistentheils gutmüthige Schwärmer, welche durch einen eingebildeten Umgang mit der Gottheit, den sie nicht selten im Schlaf und Traum unterhielten; durch allerlei geistliche und strenge Uebungen, vornehmlich durch die sogenannte Kreuzigung des Fleisches, es dahin gebracht zu haben glaubten; daß sich ihnen die Gottheit nicht nur besonders mittheilen könne, sondern auch als Gliedern ihres Wesens mittheilen müsse; (denn fast alle Schwärmer haben sich mit Gott in einer mystischen Vereinigung zu einem Ganzen betrachtet) die aber doch auch auf der andern Seite gemeiniglich Stolz genug besaßen, um sich von andern Menschen auf eine ausserordentliche Art auszeichnen zu wollen. Kein Schwärmer, selbst der berühmte Gaßner nicht, der uns oft als das höchste Muster der Demuth und der sittlichen Einfalt geschildert worden ist, war vom Stolze frei, und man müßte das menschliche Herz nicht kennen, wenn man jene Leute
Diese sind — und waren meistentheils gutmuͤthige Schwaͤrmer, welche durch einen eingebildeten Umgang mit der Gottheit, den sie nicht selten im Schlaf und Traum unterhielten; durch allerlei geistliche und strenge Uebungen, vornehmlich durch die sogenannte Kreuzigung des Fleisches, es dahin gebracht zu haben glaubten; daß sich ihnen die Gottheit nicht nur besonders mittheilen koͤnne, sondern auch als Gliedern ihres Wesens mittheilen muͤsse; (denn fast alle Schwaͤrmer haben sich mit Gott in einer mystischen Vereinigung zu einem Ganzen betrachtet) die aber doch auch auf der andern Seite gemeiniglich Stolz genug besaßen, um sich von andern Menschen auf eine ausserordentliche Art auszeichnen zu wollen. Kein Schwaͤrmer, selbst der beruͤhmte Gaßner nicht, der uns oft als das hoͤchste Muster der Demuth und der sittlichen Einfalt geschildert worden ist, war vom Stolze frei, und man muͤßte das menschliche Herz nicht kennen, wenn man jene Leute <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0096" n="96"/><lb/> che, die nie geglaubt haben, daß sie Wunder thun koͤnnten; aber es doch zur Erreichung gewisser politischen oder moralischen Endzwecke vorgaben, — dieß waren geflissentliche Betruͤger, — und in solche, die wirklich glaubten, daß ihnen eine Kraft Wunder zu thun wirklich mitgetheilt sei, ohne daß sie diese Kraft besaßen. Von diesen letztern Wunderthaͤtern, die in sich eine Wunderkraft fuͤhlten, ob sie sie gleich nicht hatten, will ich nur mit Wenigem reden.</p> <p>Diese sind — und waren meistentheils gutmuͤthige Schwaͤrmer, welche durch einen eingebildeten Umgang mit der Gottheit, den sie nicht selten im Schlaf und Traum unterhielten; durch allerlei geistliche und strenge Uebungen, vornehmlich durch die sogenannte Kreuzigung des Fleisches, es dahin gebracht zu haben glaubten; daß sich ihnen die Gottheit nicht nur besonders mittheilen koͤnne, sondern auch als Gliedern ihres Wesens mittheilen muͤsse; (denn fast alle Schwaͤrmer haben sich mit Gott in einer mystischen Vereinigung zu einem Ganzen betrachtet) die aber doch auch auf der andern Seite gemeiniglich Stolz genug besaßen, um sich von andern Menschen auf eine ausserordentliche Art auszeichnen zu wollen. Kein Schwaͤrmer, selbst der beruͤhmte Gaßner nicht, der uns oft als das hoͤchste Muster der Demuth und der sittlichen Einfalt geschildert worden ist, war vom Stolze frei, und man muͤßte das menschliche Herz nicht kennen, wenn man jene Leute<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [96/0096]
che, die nie geglaubt haben, daß sie Wunder thun koͤnnten; aber es doch zur Erreichung gewisser politischen oder moralischen Endzwecke vorgaben, — dieß waren geflissentliche Betruͤger, — und in solche, die wirklich glaubten, daß ihnen eine Kraft Wunder zu thun wirklich mitgetheilt sei, ohne daß sie diese Kraft besaßen. Von diesen letztern Wunderthaͤtern, die in sich eine Wunderkraft fuͤhlten, ob sie sie gleich nicht hatten, will ich nur mit Wenigem reden.
Diese sind — und waren meistentheils gutmuͤthige Schwaͤrmer, welche durch einen eingebildeten Umgang mit der Gottheit, den sie nicht selten im Schlaf und Traum unterhielten; durch allerlei geistliche und strenge Uebungen, vornehmlich durch die sogenannte Kreuzigung des Fleisches, es dahin gebracht zu haben glaubten; daß sich ihnen die Gottheit nicht nur besonders mittheilen koͤnne, sondern auch als Gliedern ihres Wesens mittheilen muͤsse; (denn fast alle Schwaͤrmer haben sich mit Gott in einer mystischen Vereinigung zu einem Ganzen betrachtet) die aber doch auch auf der andern Seite gemeiniglich Stolz genug besaßen, um sich von andern Menschen auf eine ausserordentliche Art auszeichnen zu wollen. Kein Schwaͤrmer, selbst der beruͤhmte Gaßner nicht, der uns oft als das hoͤchste Muster der Demuth und der sittlichen Einfalt geschildert worden ist, war vom Stolze frei, und man muͤßte das menschliche Herz nicht kennen, wenn man jene Leute
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien
(2015-06-09T11:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-06-09T11:00:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |