Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 1. Berlin, 1786.
Da dieß Wunder so alltäglich geworden ist, scheint das Träumen eine so unbedeutende Sache zu seyn, bei der es nicht der Mühe verlohnt, mit seinen Gedanken zu verweilen; oder wer noch mit seinen Gedanken dabei verweilt, der thut es größtentheils aus unedlen und eigennützigen Absichten, oder aus einer kindischen Neugierde in Ansehung dessen, was ihm künftig begegnen wird. Der Weise macht den Traum zum Gegenstande seiner Betrachtungen, um die Natur des Wesens zu erforschen, was in ihm denkt, und träumt; um durch den Unterschied zwischen Traum und Wahrheit die Wahrheit selbst auf festere Stützen zu stellen, um dem Gange der Phantasie und dem Gange des wohlgeordneten Denkens bis in seine verborgensten Schlupfwinkel nachzuspähen. Jeder Traum, dessen man sich zufälliger Weise mit mehrerer Deutlichkeit erinnert, kann zu dergleichen Untersuchungen Stoff hergeben.
Da dieß Wunder so alltaͤglich geworden ist, scheint das Traͤumen eine so unbedeutende Sache zu seyn, bei der es nicht der Muͤhe verlohnt, mit seinen Gedanken zu verweilen; oder wer noch mit seinen Gedanken dabei verweilt, der thut es groͤßtentheils aus unedlen und eigennuͤtzigen Absichten, oder aus einer kindischen Neugierde in Ansehung dessen, was ihm kuͤnftig begegnen wird. Der Weise macht den Traum zum Gegenstande seiner Betrachtungen, um die Natur des Wesens zu erforschen, was in ihm denkt, und traͤumt; um durch den Unterschied zwischen Traum und Wahrheit die Wahrheit selbst auf festere Stuͤtzen zu stellen, um dem Gange der Phantasie und dem Gange des wohlgeordneten Denkens bis in seine verborgensten Schlupfwinkel nachzuspaͤhen. Jeder Traum, dessen man sich zufaͤlliger Weise mit mehrerer Deutlichkeit erinnert, kann zu dergleichen Untersuchungen Stoff hergeben. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0025" n="23"/><lb/> Sinne verschlossen sind, wodurch uns sonst die immerwaͤhrende Fluth von Jdeen zustroͤmt, dennoch sieht, und hoͤrt, und schmeckt, und fuͤhlt, ohne doch wirklich zu sehen, zu hoͤren, zu schmecken, und zu fuͤhlen, ist gewiß eins der sonderbarsten Phaͤnomene in der menschlichen Natur, und der, welchem es unter allen Sterblichen zum erstenmale begegnet waͤre, haͤtte es nothwendig fuͤr ein unbegreifliches Wunder halten muͤssen. </p> <p>Da dieß Wunder so alltaͤglich geworden ist, scheint das Traͤumen eine so unbedeutende Sache zu seyn, bei der es nicht der Muͤhe verlohnt, mit seinen Gedanken zu verweilen; oder wer noch mit seinen Gedanken dabei verweilt, der thut es groͤßtentheils aus unedlen und eigennuͤtzigen Absichten, oder aus einer kindischen Neugierde in Ansehung dessen, was ihm kuͤnftig begegnen wird. </p> <p>Der Weise macht den <hi rendition="#b">Traum</hi> zum Gegenstande seiner Betrachtungen, um die Natur des Wesens zu erforschen, was in ihm denkt, und traͤumt; um durch den Unterschied zwischen Traum und Wahrheit die Wahrheit selbst auf festere Stuͤtzen zu stellen, um dem Gange der Phantasie und dem Gange des wohlgeordneten Denkens bis in seine verborgensten Schlupfwinkel nachzuspaͤhen. </p> <p>Jeder Traum, dessen man sich zufaͤlliger Weise mit mehrerer Deutlichkeit erinnert, kann zu dergleichen Untersuchungen Stoff hergeben. </p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [23/0025]
Sinne verschlossen sind, wodurch uns sonst die immerwaͤhrende Fluth von Jdeen zustroͤmt, dennoch sieht, und hoͤrt, und schmeckt, und fuͤhlt, ohne doch wirklich zu sehen, zu hoͤren, zu schmecken, und zu fuͤhlen, ist gewiß eins der sonderbarsten Phaͤnomene in der menschlichen Natur, und der, welchem es unter allen Sterblichen zum erstenmale begegnet waͤre, haͤtte es nothwendig fuͤr ein unbegreifliches Wunder halten muͤssen.
Da dieß Wunder so alltaͤglich geworden ist, scheint das Traͤumen eine so unbedeutende Sache zu seyn, bei der es nicht der Muͤhe verlohnt, mit seinen Gedanken zu verweilen; oder wer noch mit seinen Gedanken dabei verweilt, der thut es groͤßtentheils aus unedlen und eigennuͤtzigen Absichten, oder aus einer kindischen Neugierde in Ansehung dessen, was ihm kuͤnftig begegnen wird.
Der Weise macht den Traum zum Gegenstande seiner Betrachtungen, um die Natur des Wesens zu erforschen, was in ihm denkt, und traͤumt; um durch den Unterschied zwischen Traum und Wahrheit die Wahrheit selbst auf festere Stuͤtzen zu stellen, um dem Gange der Phantasie und dem Gange des wohlgeordneten Denkens bis in seine verborgensten Schlupfwinkel nachzuspaͤhen.
Jeder Traum, dessen man sich zufaͤlliger Weise mit mehrerer Deutlichkeit erinnert, kann zu dergleichen Untersuchungen Stoff hergeben.
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