Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 1. Berlin, 1786.
Ob nicht Lebensüberdruß bei so manchen Personen bloß aus dieser Ursach entstehen mag? -- Ob nicht vielleicht eine große Anzahl Menschen dem Märtyrertode thörichter Weise entgegen eilten, weil ihre von Scenen des künftigen Lebens erhitzte Phantasie ihnen dieß Leben schaal und abgeschmackt machte. Dieß sollten doch Prediger wohl erwägen, die sich oft so gern in reitzenden Schilderungen der Freuden des Himmels verlieren, ohne auf die schwachen Gemüther Rücksicht nehmen, denen sie dadurch alle die Freuden dieses Lebens, die sie sonst genießen könnten, zum Eckel machen. Sie sollten doch den Blick ihrer Zuhörer immer mehr auf dieß Leben heften, und ihnen das künftige Leben immer nur in ganz nothwendiger Verbindung mit diesem schildern. Bei dem Jnspektor Drieß war der Lebensüberdruß oder vielmehr die Sterbensbegierde aus einer ganz von jener verschiedenen Ursach entstanden. -- Er affektirte nehmlich ein Freygeist und starker Geist zu seyn, und wollte sich zu Tode hungern, um Stärke des Geistes zu zeigen. Er wollte von den Großen bemerkt seyn -- und sobald er seinen Endzweck erreicht zu haben glaubte, indem ihn der Prinz Heinrich persönlich besuchte, so war er auf einmal von seinem rasenden
Ob nicht Lebensuͤberdruß bei so manchen Personen bloß aus dieser Ursach entstehen mag? — Ob nicht vielleicht eine große Anzahl Menschen dem Maͤrtyrertode thoͤrichter Weise entgegen eilten, weil ihre von Scenen des kuͤnftigen Lebens erhitzte Phantasie ihnen dieß Leben schaal und abgeschmackt machte. Dieß sollten doch Prediger wohl erwaͤgen, die sich oft so gern in reitzenden Schilderungen der Freuden des Himmels verlieren, ohne auf die schwachen Gemuͤther Ruͤcksicht nehmen, denen sie dadurch alle die Freuden dieses Lebens, die sie sonst genießen koͤnnten, zum Eckel machen. Sie sollten doch den Blick ihrer Zuhoͤrer immer mehr auf dieß Leben heften, und ihnen das kuͤnftige Leben immer nur in ganz nothwendiger Verbindung mit diesem schildern. Bei dem Jnspektor Drieß war der Lebensuͤberdruß oder vielmehr die Sterbensbegierde aus einer ganz von jener verschiedenen Ursach entstanden. — Er affektirte nehmlich ein Freygeist und starker Geist zu seyn, und wollte sich zu Tode hungern, um Staͤrke des Geistes zu zeigen. Er wollte von den Großen bemerkt seyn — und sobald er seinen Endzweck erreicht zu haben glaubte, indem ihn der Prinz Heinrich persoͤnlich besuchte, so war er auf einmal von seinem rasenden <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0027" n="25"/><lb/> freiung von diesem, und die gewisse Erlangung eines bessern Lebens zu verschaffen gesucht. </p> <p>Ob nicht Lebensuͤberdruß bei so manchen Personen bloß aus dieser Ursach entstehen mag? — Ob nicht vielleicht eine große Anzahl Menschen dem Maͤrtyrertode thoͤrichter Weise entgegen eilten, weil ihre von Scenen des kuͤnftigen Lebens erhitzte Phantasie ihnen dieß Leben schaal und abgeschmackt machte. </p> <p>Dieß sollten doch Prediger wohl erwaͤgen, die sich oft so gern in reitzenden Schilderungen der Freuden des Himmels verlieren, ohne auf die schwachen Gemuͤther Ruͤcksicht nehmen, denen sie dadurch alle die Freuden dieses Lebens, die sie sonst genießen koͤnnten, zum Eckel machen. Sie sollten doch den Blick ihrer Zuhoͤrer immer mehr auf dieß Leben heften, und ihnen das kuͤnftige Leben immer nur in ganz nothwendiger Verbindung mit diesem schildern. </p> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <p>Bei dem Jnspektor Drieß war der Lebensuͤberdruß oder vielmehr die Sterbensbegierde aus einer ganz von jener verschiedenen Ursach entstanden. — Er affektirte nehmlich ein Freygeist und starker Geist zu seyn, und wollte sich zu Tode hungern, um Staͤrke des Geistes zu <hi rendition="#b">zeigen.</hi></p> <p>Er wollte von den Großen bemerkt seyn — und sobald er seinen Endzweck erreicht zu haben glaubte, indem ihn der Prinz Heinrich persoͤnlich besuchte, so war er auf einmal von seinem rasenden<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [25/0027]
freiung von diesem, und die gewisse Erlangung eines bessern Lebens zu verschaffen gesucht.
Ob nicht Lebensuͤberdruß bei so manchen Personen bloß aus dieser Ursach entstehen mag? — Ob nicht vielleicht eine große Anzahl Menschen dem Maͤrtyrertode thoͤrichter Weise entgegen eilten, weil ihre von Scenen des kuͤnftigen Lebens erhitzte Phantasie ihnen dieß Leben schaal und abgeschmackt machte.
Dieß sollten doch Prediger wohl erwaͤgen, die sich oft so gern in reitzenden Schilderungen der Freuden des Himmels verlieren, ohne auf die schwachen Gemuͤther Ruͤcksicht nehmen, denen sie dadurch alle die Freuden dieses Lebens, die sie sonst genießen koͤnnten, zum Eckel machen. Sie sollten doch den Blick ihrer Zuhoͤrer immer mehr auf dieß Leben heften, und ihnen das kuͤnftige Leben immer nur in ganz nothwendiger Verbindung mit diesem schildern.
Bei dem Jnspektor Drieß war der Lebensuͤberdruß oder vielmehr die Sterbensbegierde aus einer ganz von jener verschiedenen Ursach entstanden. — Er affektirte nehmlich ein Freygeist und starker Geist zu seyn, und wollte sich zu Tode hungern, um Staͤrke des Geistes zu zeigen.
Er wollte von den Großen bemerkt seyn — und sobald er seinen Endzweck erreicht zu haben glaubte, indem ihn der Prinz Heinrich persoͤnlich besuchte, so war er auf einmal von seinem rasenden
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