Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite


ser herzlichen Wünsche mein Leben bestrahlen? wann werde ich mit freudiger Stimme ausrufen können? Du hast Deinen Bruder wieder!

Aus einem Briefe erfuhr ich den Ort Deines Auffenthalts und Deiner Beschäftigung. Erwarte nicht von mir, daß ich etwas gegen diese sagen werde. Nein, Bruder! ich sage Dir, daß Du in Deinem wirklichen Verhältnisse so glücklich seyn, so glücklich werden kannst, als in jedem andern; denn was ist Glück anders, als Zufriedenheit? Zufriedenheit erhälst Du freilich durch die Befriedigung Deiner Begierden, und dauerhafte wahre Zufriedenheit nur durch Befriedigung vernünftiger Begierden; eine andere ist das Vergnügen eines Moments, der zehntausend folgende vergiftet. Wahre Zufriedenheit kannst Du immer haben, lieber Bruder! verbinde nur Weisheitkenntniß Deiner Umstände mit der Wahl Deiner Begierden, und Klugheit mit der Wahl der Mittel zur Befriedigung derselben. Siehst Du die Unmöglichkeit der Stillung eines oder des andern Verlangens; so leide den Mangel, dulde ihn! ersetze ihn durch die Gewährung eines schätzbarern, größern, das mehr zur Vervollkommung Deines Zustandes beiträgt, oder Dir einen stärkern Drang in Deiner Seele macht. Nur wähle immer das, was Du nach allen Verhältnissen für Dich als das Beste erkennst; dann bist Du glücklich, und noch in der irrdischen Hülle empfindest Du einen Himmel voll Wonne.


ser herzlichen Wuͤnsche mein Leben bestrahlen? wann werde ich mit freudiger Stimme ausrufen koͤnnen? Du hast Deinen Bruder wieder!

Aus einem Briefe erfuhr ich den Ort Deines Auffenthalts und Deiner Beschaͤftigung. Erwarte nicht von mir, daß ich etwas gegen diese sagen werde. Nein, Bruder! ich sage Dir, daß Du in Deinem wirklichen Verhaͤltnisse so gluͤcklich seyn, so gluͤcklich werden kannst, als in jedem andern; denn was ist Gluͤck anders, als Zufriedenheit? Zufriedenheit erhaͤlst Du freilich durch die Befriedigung Deiner Begierden, und dauerhafte wahre Zufriedenheit nur durch Befriedigung vernuͤnftiger Begierden; eine andere ist das Vergnuͤgen eines Moments, der zehntausend folgende vergiftet. Wahre Zufriedenheit kannst Du immer haben, lieber Bruder! verbinde nur Weisheitkenntniß Deiner Umstaͤnde mit der Wahl Deiner Begierden, und Klugheit mit der Wahl der Mittel zur Befriedigung derselben. Siehst Du die Unmoͤglichkeit der Stillung eines oder des andern Verlangens; so leide den Mangel, dulde ihn! ersetze ihn durch die Gewaͤhrung eines schaͤtzbarern, groͤßern, das mehr zur Vervollkommung Deines Zustandes beitraͤgt, oder Dir einen staͤrkern Drang in Deiner Seele macht. Nur waͤhle immer das, was Du nach allen Verhaͤltnissen fuͤr Dich als das Beste erkennst; dann bist Du gluͤcklich, und noch in der irrdischen Huͤlle empfindest Du einen Himmel voll Wonne.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0065" n="65"/><lb/>
ser herzlichen Wu&#x0364;nsche                   mein Leben bestrahlen? wann werde ich mit freudiger Stimme ausrufen ko&#x0364;nnen? Du                   hast Deinen Bruder wieder! </p>
              <p>Aus einem Briefe erfuhr ich den Ort Deines Auffenthalts und Deiner Bescha&#x0364;ftigung.                   Erwarte nicht von mir, daß ich etwas gegen diese sagen werde. Nein, Bruder! ich                   sage Dir, daß Du in Deinem wirklichen Verha&#x0364;ltnisse so glu&#x0364;cklich seyn, so glu&#x0364;cklich                   werden kannst, als in jedem andern; denn was ist Glu&#x0364;ck anders, als Zufriedenheit?                   Zufriedenheit erha&#x0364;lst Du freilich durch die Befriedigung Deiner Begierden, und                   dauerhafte wahre Zufriedenheit nur durch Befriedigung vernu&#x0364;nftiger Begierden; eine                   andere ist das Vergnu&#x0364;gen eines Moments, der zehntausend folgende vergiftet. Wahre                   Zufriedenheit kannst Du immer haben, lieber Bruder! verbinde nur Weisheitkenntniß                   Deiner Umsta&#x0364;nde mit der Wahl Deiner Begierden, und Klugheit mit der Wahl der                   Mittel zur Befriedigung derselben. Siehst Du die Unmo&#x0364;glichkeit der Stillung eines                   oder des andern Verlangens; so leide den Mangel, dulde ihn! ersetze ihn durch die                   Gewa&#x0364;hrung eines scha&#x0364;tzbarern, gro&#x0364;ßern, das mehr zur Vervollkommung Deines                   Zustandes beitra&#x0364;gt, oder Dir einen sta&#x0364;rkern Drang in Deiner Seele macht. Nur wa&#x0364;hle                   immer das, was Du nach allen Verha&#x0364;ltnissen fu&#x0364;r Dich als das Beste erkennst; dann                   bist Du glu&#x0364;cklich, und noch in der irrdischen Hu&#x0364;lle empfindest Du einen Himmel                   voll Wonne.<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[65/0065] ser herzlichen Wuͤnsche mein Leben bestrahlen? wann werde ich mit freudiger Stimme ausrufen koͤnnen? Du hast Deinen Bruder wieder! Aus einem Briefe erfuhr ich den Ort Deines Auffenthalts und Deiner Beschaͤftigung. Erwarte nicht von mir, daß ich etwas gegen diese sagen werde. Nein, Bruder! ich sage Dir, daß Du in Deinem wirklichen Verhaͤltnisse so gluͤcklich seyn, so gluͤcklich werden kannst, als in jedem andern; denn was ist Gluͤck anders, als Zufriedenheit? Zufriedenheit erhaͤlst Du freilich durch die Befriedigung Deiner Begierden, und dauerhafte wahre Zufriedenheit nur durch Befriedigung vernuͤnftiger Begierden; eine andere ist das Vergnuͤgen eines Moments, der zehntausend folgende vergiftet. Wahre Zufriedenheit kannst Du immer haben, lieber Bruder! verbinde nur Weisheitkenntniß Deiner Umstaͤnde mit der Wahl Deiner Begierden, und Klugheit mit der Wahl der Mittel zur Befriedigung derselben. Siehst Du die Unmoͤglichkeit der Stillung eines oder des andern Verlangens; so leide den Mangel, dulde ihn! ersetze ihn durch die Gewaͤhrung eines schaͤtzbarern, groͤßern, das mehr zur Vervollkommung Deines Zustandes beitraͤgt, oder Dir einen staͤrkern Drang in Deiner Seele macht. Nur waͤhle immer das, was Du nach allen Verhaͤltnissen fuͤr Dich als das Beste erkennst; dann bist Du gluͤcklich, und noch in der irrdischen Huͤlle empfindest Du einen Himmel voll Wonne.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786/65
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786/65>, abgerufen am 24.11.2024.