Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 3. Berlin, 1786.
Jm Traume versetzen wir uns ganz aus unserer Lage, vergessen unsere Verhältnisse. Wir erdenken Begebenheiten, die schlechterdings mit unsern wirklichen Zustande gar keine Verbindung, wenigstens in so fern man es bemerken kann, haben, und wovon uns nie vorher ein Gedanke in den Sinn gekommen ist. Alles dieses ist unendlich verschieden nach der Beschaffenheit unseres Körpers und unsers Gesundheitszustandes, und wenn wir völlig gesund sind, träumen wir gar nicht, und wenn wir recht lebhaft und viel geträumt haben, sind wir beim Erwachen müde und entkräftet. Wie viel Unerklärliches, wie viel Widersprechendes findet sich nicht in allen diesen? -- Doch ich begnüge mich, diesen wenigen hingeworfenen Bemerkungen einen Traum anzuhängen, der mir immer einiger Aufmerksamkeit werth scheint. Er ist mir von einem meiner Freunde erzählt; ich kenne die äußere Umstände genau, und kann für die Zuverläßigkeit einstehn. Eine weitläuftige Verwandtin von ihm, eine verheirathete Frau, ohngefähr vierzig Jahr alt, in deren Haus er nur selten und nicht ohne besondere Veranlassung kömmt, erzählt ihm eines Tages fol-
Jm Traume versetzen wir uns ganz aus unserer Lage, vergessen unsere Verhaͤltnisse. Wir erdenken Begebenheiten, die schlechterdings mit unsern wirklichen Zustande gar keine Verbindung, wenigstens in so fern man es bemerken kann, haben, und wovon uns nie vorher ein Gedanke in den Sinn gekommen ist. Alles dieses ist unendlich verschieden nach der Beschaffenheit unseres Koͤrpers und unsers Gesundheitszustandes, und wenn wir voͤllig gesund sind, traͤumen wir gar nicht, und wenn wir recht lebhaft und viel getraͤumt haben, sind wir beim Erwachen muͤde und entkraͤftet. Wie viel Unerklaͤrliches, wie viel Widersprechendes findet sich nicht in allen diesen? — Doch ich begnuͤge mich, diesen wenigen hingeworfenen Bemerkungen einen Traum anzuhaͤngen, der mir immer einiger Aufmerksamkeit werth scheint. Er ist mir von einem meiner Freunde erzaͤhlt; ich kenne die aͤußere Umstaͤnde genau, und kann fuͤr die Zuverlaͤßigkeit einstehn. Eine weitlaͤuftige Verwandtin von ihm, eine verheirathete Frau, ohngefaͤhr vierzig Jahr alt, in deren Haus er nur selten und nicht ohne besondere Veranlassung koͤmmt, erzaͤhlt ihm eines Tages fol- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0084" n="84"/><lb/> wir uns freilich deutlicher bewust sind, als den Jnhalt des eben vorher angefuͤhrten; sind in wichtigen Aemtern, unter schweren Geschaͤften und verwalten sie mit Ruhm und Ehre. </p> <p>Jm Traume versetzen wir uns ganz aus unserer Lage, vergessen unsere Verhaͤltnisse. Wir erdenken Begebenheiten, die schlechterdings mit unsern wirklichen Zustande gar keine Verbindung, wenigstens in so fern man es bemerken kann, haben, und wovon uns nie vorher ein Gedanke in den Sinn gekommen ist. </p> <p>Alles dieses ist unendlich verschieden nach der Beschaffenheit unseres Koͤrpers und unsers Gesundheitszustandes, und wenn wir voͤllig gesund sind, traͤumen wir gar nicht, und wenn wir recht lebhaft und viel getraͤumt haben, sind wir beim Erwachen muͤde und entkraͤftet. </p> <p>Wie viel Unerklaͤrliches, wie viel Widersprechendes findet sich nicht in allen diesen? — </p> <p>Doch ich begnuͤge mich, diesen wenigen hingeworfenen Bemerkungen einen Traum anzuhaͤngen, der mir immer einiger Aufmerksamkeit werth scheint. Er ist mir von einem meiner Freunde erzaͤhlt; ich kenne die aͤußere Umstaͤnde genau, und kann fuͤr die Zuverlaͤßigkeit einstehn. </p> <p>Eine weitlaͤuftige Verwandtin von ihm, eine verheirathete Frau, ohngefaͤhr vierzig Jahr alt, in deren Haus er nur selten und nicht ohne besondere Veranlassung koͤmmt, erzaͤhlt ihm eines Tages fol-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [84/0084]
wir uns freilich deutlicher bewust sind, als den Jnhalt des eben vorher angefuͤhrten; sind in wichtigen Aemtern, unter schweren Geschaͤften und verwalten sie mit Ruhm und Ehre.
Jm Traume versetzen wir uns ganz aus unserer Lage, vergessen unsere Verhaͤltnisse. Wir erdenken Begebenheiten, die schlechterdings mit unsern wirklichen Zustande gar keine Verbindung, wenigstens in so fern man es bemerken kann, haben, und wovon uns nie vorher ein Gedanke in den Sinn gekommen ist.
Alles dieses ist unendlich verschieden nach der Beschaffenheit unseres Koͤrpers und unsers Gesundheitszustandes, und wenn wir voͤllig gesund sind, traͤumen wir gar nicht, und wenn wir recht lebhaft und viel getraͤumt haben, sind wir beim Erwachen muͤde und entkraͤftet.
Wie viel Unerklaͤrliches, wie viel Widersprechendes findet sich nicht in allen diesen? —
Doch ich begnuͤge mich, diesen wenigen hingeworfenen Bemerkungen einen Traum anzuhaͤngen, der mir immer einiger Aufmerksamkeit werth scheint. Er ist mir von einem meiner Freunde erzaͤhlt; ich kenne die aͤußere Umstaͤnde genau, und kann fuͤr die Zuverlaͤßigkeit einstehn.
Eine weitlaͤuftige Verwandtin von ihm, eine verheirathete Frau, ohngefaͤhr vierzig Jahr alt, in deren Haus er nur selten und nicht ohne besondere Veranlassung koͤmmt, erzaͤhlt ihm eines Tages fol-
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 3. Berlin, 1786, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0403_1786/84>, abgerufen am 16.02.2025. |