Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787.
"Die ersten Tage meines Lebens waren wohl ein recht Vorbild aller andern Tage und Jahre meines Lebens, die darauf folgen sollten. Wie mir meine Mutter und Geschwister vielmahls erzählt; so habe ich das erste halbe Jahr auf der Welt nichts anders gethan, als Tag und Nacht geweint und geschrien". (wahrscheinlich, weil dem armen Jungen immer etwas fehlte. Er führt im Folgenden noch andere zum Theil abergläubische Omina seiner künftigen Leiden an, worunter das wohl das lächerlichste ist, daß er sich oft geneigt gefühlt, das Ungeziefer, womit ein Bettelweib sein Haus angesteckt, für eine Vorbedeutung seiner vielen Fehler, Verbrechen, Verderbnisse, Sünden und Unarten zu halten.) Aus dem zwölften Jahre seines Lebens führt der Verfasser eine sonderbare Beobachtung von sich an, die einen Beweis von der ausserordentlichen Stärke unwillkürlicher Jdeen abgiebt, und es
»Die ersten Tage meines Lebens waren wohl ein recht Vorbild aller andern Tage und Jahre meines Lebens, die darauf folgen sollten. Wie mir meine Mutter und Geschwister vielmahls erzaͤhlt; so habe ich das erste halbe Jahr auf der Welt nichts anders gethan, als Tag und Nacht geweint und geschrien«. (wahrscheinlich, weil dem armen Jungen immer etwas fehlte. Er fuͤhrt im Folgenden noch andere zum Theil aberglaͤubische Omina seiner kuͤnftigen Leiden an, worunter das wohl das laͤcherlichste ist, daß er sich oft geneigt gefuͤhlt, das Ungeziefer, womit ein Bettelweib sein Haus angesteckt, fuͤr eine Vorbedeutung seiner vielen Fehler, Verbrechen, Verderbnisse, Suͤnden und Unarten zu halten.) Aus dem zwoͤlften Jahre seines Lebens fuͤhrt der Verfasser eine sonderbare Beobachtung von sich an, die einen Beweis von der ausserordentlichen Staͤrke unwillkuͤrlicher Jdeen abgiebt, und es <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0109" n="107"/><lb/> die Hoͤlle kommen; mein Vater aber sprach: ihr seyd doch ein rechter Narr, daß ihr solches glaubet; es heißt: verdammet nicht, so werdet ihr auch nicht verdammt! Wuͤßten sie es besser; so glaubten sie anders. Gott wird ihnen ihre Unwissenheit und Einfalt nicht zurechnen, wenn sie nur bei ihrem Glauben fromm gelebt haben« (Gesinnungen, die der orthodoxe Verfasser nicht billigt, ob er gleich hinterher gesteht, daß er hoffe, daß sie seinem Vater an seiner Seeligkeit nicht wuͤrden geschadet haben.)</p> <p>»Die ersten Tage meines Lebens waren wohl ein recht Vorbild aller andern Tage und Jahre meines Lebens, die darauf folgen sollten. Wie mir meine Mutter und Geschwister vielmahls erzaͤhlt; so habe ich das erste halbe Jahr auf der Welt nichts anders gethan, als Tag und Nacht geweint und geschrien«. (wahrscheinlich, weil dem armen Jungen immer etwas fehlte. Er fuͤhrt im Folgenden noch andere zum Theil aberglaͤubische <hi rendition="#aq">Omina</hi> seiner kuͤnftigen Leiden an, worunter das wohl das laͤcherlichste ist, daß er sich oft geneigt gefuͤhlt, das Ungeziefer, womit ein Bettelweib sein Haus angesteckt, fuͤr eine Vorbedeutung seiner vielen Fehler, Verbrechen, Verderbnisse, Suͤnden und Unarten zu halten.)</p> <p>Aus dem zwoͤlften Jahre seines Lebens fuͤhrt der Verfasser eine sonderbare Beobachtung von sich an, die einen Beweis von der ausserordentlichen Staͤrke <hi rendition="#b">unwillkuͤrlicher</hi> Jdeen abgiebt, und es<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [107/0109]
die Hoͤlle kommen; mein Vater aber sprach: ihr seyd doch ein rechter Narr, daß ihr solches glaubet; es heißt: verdammet nicht, so werdet ihr auch nicht verdammt! Wuͤßten sie es besser; so glaubten sie anders. Gott wird ihnen ihre Unwissenheit und Einfalt nicht zurechnen, wenn sie nur bei ihrem Glauben fromm gelebt haben« (Gesinnungen, die der orthodoxe Verfasser nicht billigt, ob er gleich hinterher gesteht, daß er hoffe, daß sie seinem Vater an seiner Seeligkeit nicht wuͤrden geschadet haben.)
»Die ersten Tage meines Lebens waren wohl ein recht Vorbild aller andern Tage und Jahre meines Lebens, die darauf folgen sollten. Wie mir meine Mutter und Geschwister vielmahls erzaͤhlt; so habe ich das erste halbe Jahr auf der Welt nichts anders gethan, als Tag und Nacht geweint und geschrien«. (wahrscheinlich, weil dem armen Jungen immer etwas fehlte. Er fuͤhrt im Folgenden noch andere zum Theil aberglaͤubische Omina seiner kuͤnftigen Leiden an, worunter das wohl das laͤcherlichste ist, daß er sich oft geneigt gefuͤhlt, das Ungeziefer, womit ein Bettelweib sein Haus angesteckt, fuͤr eine Vorbedeutung seiner vielen Fehler, Verbrechen, Verderbnisse, Suͤnden und Unarten zu halten.)
Aus dem zwoͤlften Jahre seines Lebens fuͤhrt der Verfasser eine sonderbare Beobachtung von sich an, die einen Beweis von der ausserordentlichen Staͤrke unwillkuͤrlicher Jdeen abgiebt, und es
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0501_1787/109>, abgerufen am 16.07.2024. |