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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787.

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len; allein, wie mich dünkt, haben sie nicht ganz Recht, wenigstens kann ihre Erklärung nicht als eine allgemein richtige angenommen werden. Es giebt Menschen von einem durchaus verschiedenen Naturell, welche sich demohnerachtet aufs zärtlichste lieben, und wie sie selbst gestehen, eben durch eine Verschiedenheit des Naturells die wärmsten Freunde geworden sind. Es ist ferner bekannt, daß ganz verschiedene Charactere oft einer viel längern und dauerhaftern Sympathie gegen einander fähig sind, als die, welche die Natur gleichsam nach einem Modell geschaffen zu haben scheint, und wer kennt nicht Ehen, worin die liebenswürdigste Eintracht herrscht, so sehr auch Mann und Frau in Absicht ihres Naturells von einander abgehen?

Ueberdem verstehe ich hier unter der Antipathie gewisser Menschen gegen einander eigentlich nicht die, welche durch eine genauere gegenseitige Bekanntschaft ihrer verschiedenen Temperamente und Denkungsarten, oder gar durch persönliche Beleidigungen; sondern durch den unwillkürlichen Eindruck gewisser Gesichtszüge und der körperlichen Form Anderer auf unsere Phantasie hervorgebracht wird, wobei die Verschiedenheit des Naturells nur in so fern in Betrachtung kommt, als es gewisse Gesichtszüge veranlassen kann, die etwas Widerliches für uns an sich haben.

So unsicher überhaupt die Regeln eines physiognomischen Gefühls seyn mögen, sobald man da-


len; allein, wie mich duͤnkt, haben sie nicht ganz Recht, wenigstens kann ihre Erklaͤrung nicht als eine allgemein richtige angenommen werden. Es giebt Menschen von einem durchaus verschiedenen Naturell, welche sich demohnerachtet aufs zaͤrtlichste lieben, und wie sie selbst gestehen, eben durch eine Verschiedenheit des Naturells die waͤrmsten Freunde geworden sind. Es ist ferner bekannt, daß ganz verschiedene Charactere oft einer viel laͤngern und dauerhaftern Sympathie gegen einander faͤhig sind, als die, welche die Natur gleichsam nach einem Modell geschaffen zu haben scheint, und wer kennt nicht Ehen, worin die liebenswuͤrdigste Eintracht herrscht, so sehr auch Mann und Frau in Absicht ihres Naturells von einander abgehen?

Ueberdem verstehe ich hier unter der Antipathie gewisser Menschen gegen einander eigentlich nicht die, welche durch eine genauere gegenseitige Bekanntschaft ihrer verschiedenen Temperamente und Denkungsarten, oder gar durch persoͤnliche Beleidigungen; sondern durch den unwillkuͤrlichen Eindruck gewisser Gesichtszuͤge und der koͤrperlichen Form Anderer auf unsere Phantasie hervorgebracht wird, wobei die Verschiedenheit des Naturells nur in so fern in Betrachtung kommt, als es gewisse Gesichtszuͤge veranlassen kann, die etwas Widerliches fuͤr uns an sich haben.

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[38/0040] len; allein, wie mich duͤnkt, haben sie nicht ganz Recht, wenigstens kann ihre Erklaͤrung nicht als eine allgemein richtige angenommen werden. Es giebt Menschen von einem durchaus verschiedenen Naturell, welche sich demohnerachtet aufs zaͤrtlichste lieben, und wie sie selbst gestehen, eben durch eine Verschiedenheit des Naturells die waͤrmsten Freunde geworden sind. Es ist ferner bekannt, daß ganz verschiedene Charactere oft einer viel laͤngern und dauerhaftern Sympathie gegen einander faͤhig sind, als die, welche die Natur gleichsam nach einem Modell geschaffen zu haben scheint, und wer kennt nicht Ehen, worin die liebenswuͤrdigste Eintracht herrscht, so sehr auch Mann und Frau in Absicht ihres Naturells von einander abgehen? Ueberdem verstehe ich hier unter der Antipathie gewisser Menschen gegen einander eigentlich nicht die, welche durch eine genauere gegenseitige Bekanntschaft ihrer verschiedenen Temperamente und Denkungsarten, oder gar durch persoͤnliche Beleidigungen; sondern durch den unwillkuͤrlichen Eindruck gewisser Gesichtszuͤge und der koͤrperlichen Form Anderer auf unsere Phantasie hervorgebracht wird, wobei die Verschiedenheit des Naturells nur in so fern in Betrachtung kommt, als es gewisse Gesichtszuͤge veranlassen kann, die etwas Widerliches fuͤr uns an sich haben. So unsicher uͤberhaupt die Regeln eines physiognomischen Gefuͤhls seyn moͤgen, sobald man da-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0501_1787/40>, abgerufen am 21.11.2024.