Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787.
Jch kam, nachdem ich ausstudirt hatte, zu dem würdigen Mann in Condition, der mich auf Schulen und Universitäten von Zeit zu Zeit mit Geld unterstützt hatte. Hier fing ich erst wieder an meines Lebens recht froh zu werden, hier erhub sich der Geist wieder einigermaßen, der bisher von der Armuth und Sorgen, mit denen er unaufhörlich zu kämpfen hatte, darniedergedrückt worden war. Jch hatte einen Winter bei ihm und seiner Familie - den ersten meines Lebens, den ich ohne Harm und Kummer verlebte - zugebracht. Die Ankunft des Frühlings, dessen Schönheiten ich aus natürlichen Gründen noch nie so wie itzt empfunden hatte, und ein benachbartes ländliches Fest ruften uns nach L... Wir zogen alle, Alt und Jung, dahin, und freuten uns unterwegs der Natur und ihrer Herrlichkeit. Die Alten giengen Hand in
Jch kam, nachdem ich ausstudirt hatte, zu dem wuͤrdigen Mann in Condition, der mich auf Schulen und Universitaͤten von Zeit zu Zeit mit Geld unterstuͤtzt hatte. Hier fing ich erst wieder an meines Lebens recht froh zu werden, hier erhub sich der Geist wieder einigermaßen, der bisher von der Armuth und Sorgen, mit denen er unaufhoͤrlich zu kaͤmpfen hatte, darniedergedruͤckt worden war. Jch hatte einen Winter bei ihm und seiner Familie – den ersten meines Lebens, den ich ohne Harm und Kummer verlebte – zugebracht. Die Ankunft des Fruͤhlings, dessen Schoͤnheiten ich aus natuͤrlichen Gruͤnden noch nie so wie itzt empfunden hatte, und ein benachbartes laͤndliches Fest ruften uns nach L... Wir zogen alle, Alt und Jung, dahin, und freuten uns unterwegs der Natur und ihrer Herrlichkeit. Die Alten giengen Hand in <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0069" n="67"/><lb/> ganze Denkungsart. Die schwachen Spuren der vormaligen Leidenschaft wurden durch die Zeit ausgetilgt, und ich lag die ganze Zeit meiner akademischen Laufbahn den Studien ob, ohne je wieder in Versuchung zu kommen, mich zu verlieben. Aber die Liebe war deswegen nicht aus dem Herzen des Juͤnglings entflohen, die vorigen Triebe schlummerten blos eine Zeitlang, und wurden durch andre entgegengesetzte staͤrkere geschwaͤcht und zuruͤckgehalten. Es war <hi rendition="#b">einer </hi>Stunde oder vielmehr<hi rendition="#b">einem </hi>Augenblick vorbehalten, meine Leidenschaft wieder anzufachen.</p> <p>Jch kam, nachdem ich ausstudirt hatte, zu dem wuͤrdigen Mann in Condition, der mich auf Schulen und Universitaͤten von Zeit zu Zeit mit Geld unterstuͤtzt hatte. Hier fing ich erst wieder an meines Lebens recht froh zu werden, hier erhub sich der Geist wieder einigermaßen, der bisher von der Armuth und Sorgen, mit denen er unaufhoͤrlich zu kaͤmpfen hatte, darniedergedruͤckt worden war. Jch hatte einen Winter bei ihm und seiner Familie – den ersten meines Lebens, den ich ohne Harm und Kummer verlebte – zugebracht. Die Ankunft des Fruͤhlings, dessen Schoͤnheiten ich aus natuͤrlichen Gruͤnden noch nie so wie itzt empfunden hatte, und ein benachbartes laͤndliches Fest ruften uns nach L... Wir zogen alle, Alt und Jung, dahin, und freuten uns unterwegs der Natur und ihrer Herrlichkeit. Die Alten giengen Hand in<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [67/0069]
ganze Denkungsart. Die schwachen Spuren der vormaligen Leidenschaft wurden durch die Zeit ausgetilgt, und ich lag die ganze Zeit meiner akademischen Laufbahn den Studien ob, ohne je wieder in Versuchung zu kommen, mich zu verlieben. Aber die Liebe war deswegen nicht aus dem Herzen des Juͤnglings entflohen, die vorigen Triebe schlummerten blos eine Zeitlang, und wurden durch andre entgegengesetzte staͤrkere geschwaͤcht und zuruͤckgehalten. Es war einer Stunde oder vielmehreinem Augenblick vorbehalten, meine Leidenschaft wieder anzufachen.
Jch kam, nachdem ich ausstudirt hatte, zu dem wuͤrdigen Mann in Condition, der mich auf Schulen und Universitaͤten von Zeit zu Zeit mit Geld unterstuͤtzt hatte. Hier fing ich erst wieder an meines Lebens recht froh zu werden, hier erhub sich der Geist wieder einigermaßen, der bisher von der Armuth und Sorgen, mit denen er unaufhoͤrlich zu kaͤmpfen hatte, darniedergedruͤckt worden war. Jch hatte einen Winter bei ihm und seiner Familie – den ersten meines Lebens, den ich ohne Harm und Kummer verlebte – zugebracht. Die Ankunft des Fruͤhlings, dessen Schoͤnheiten ich aus natuͤrlichen Gruͤnden noch nie so wie itzt empfunden hatte, und ein benachbartes laͤndliches Fest ruften uns nach L... Wir zogen alle, Alt und Jung, dahin, und freuten uns unterwegs der Natur und ihrer Herrlichkeit. Die Alten giengen Hand in
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