Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787.
Jch halte es für eine Schwäche meiner Seele, daß ich gegen meine Freunde eine zu leichte Nachgiebigkeit und Geschmeidigkeit besitze, mich nach ihnen zu accommodiren. Jch nehme nach und nach gleichsam ganz ihre Person unwillkürlich an; ich bilde meinen Gang, meine Geberden, meine Stimme, meine Denkungsart sehr leicht nach der ihrigen, - so unausstehlich mir auf der andern Seite der Gedanke einer begangenen Nachäffung ist. Meine Neigung, gefällig zu seyn, hat mich schon zu mancher Thorheit verleitet, mich in sehr unangenehme Verlegenheiten gesetzt. - Jch kann schwerlich einem meiner Bekannten etwas abschlagen, ich verspreche, - und kann hinterher mein Versprechen nicht halten; - ich versprach, ob ich gleich schon in diesem Augenblick einsahe, daß ich nicht würde Wort halten können. Jch habe daher oft von mir hören müssen, daß ich ein leichtsinniger Mensch sey, ob mir gleich in der Welt nichts Bittereres hätte gesagt werden können; schon das Wort Leichtsinn empört mich, und ich gerathe in die allergrößte Verlegenheit, wenn man mir auf die entfernteste Art zu verstehen giebt, daß ich von jenem Fehler angesteckt sey. Jch danke es der Güte des Himmels, daß sie mich immer in die Hände guter Menschen geführt hat, meine erstaunliche Nachgiebigkeit gegen meine
Jch halte es fuͤr eine Schwaͤche meiner Seele, daß ich gegen meine Freunde eine zu leichte Nachgiebigkeit und Geschmeidigkeit besitze, mich nach ihnen zu accommodiren. Jch nehme nach und nach gleichsam ganz ihre Person unwillkuͤrlich an; ich bilde meinen Gang, meine Geberden, meine Stimme, meine Denkungsart sehr leicht nach der ihrigen, – so unausstehlich mir auf der andern Seite der Gedanke einer begangenen Nachaͤffung ist. Meine Neigung, gefaͤllig zu seyn, hat mich schon zu mancher Thorheit verleitet, mich in sehr unangenehme Verlegenheiten gesetzt. – Jch kann schwerlich einem meiner Bekannten etwas abschlagen, ich verspreche, – und kann hinterher mein Versprechen nicht halten; – ich versprach, ob ich gleich schon in diesem Augenblick einsahe, daß ich nicht wuͤrde Wort halten koͤnnen. Jch habe daher oft von mir hoͤren muͤssen, daß ich ein leichtsinniger Mensch sey, ob mir gleich in der Welt nichts Bittereres haͤtte gesagt werden koͤnnen; schon das Wort Leichtsinn empoͤrt mich, und ich gerathe in die allergroͤßte Verlegenheit, wenn man mir auf die entfernteste Art zu verstehen giebt, daß ich von jenem Fehler angesteckt sey. Jch danke es der Guͤte des Himmels, daß sie mich immer in die Haͤnde guter Menschen gefuͤhrt hat, meine erstaunliche Nachgiebigkeit gegen meine <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0097" n="95"/><lb/> und ich glaub, daß ich sie dereinst gewiß in einer andern Welt antreffen werde.</p> <p>Jch halte es fuͤr eine Schwaͤche meiner Seele, daß ich gegen meine Freunde eine zu leichte Nachgiebigkeit und Geschmeidigkeit besitze, mich nach ihnen zu accommodiren. Jch nehme nach und nach gleichsam ganz ihre Person unwillkuͤrlich an; ich bilde meinen Gang, meine Geberden, meine Stimme, meine Denkungsart sehr leicht nach der ihrigen, – so unausstehlich mir auf der andern Seite der Gedanke einer begangenen Nachaͤffung ist. Meine Neigung, gefaͤllig zu seyn, hat mich schon zu mancher Thorheit verleitet, mich in sehr unangenehme Verlegenheiten gesetzt. – Jch kann schwerlich einem meiner Bekannten etwas abschlagen, ich verspreche, – und kann hinterher mein Versprechen nicht halten; – ich versprach, ob ich gleich schon in diesem Augenblick einsahe, daß ich nicht wuͤrde Wort halten koͤnnen. Jch habe daher oft von mir hoͤren muͤssen, daß ich ein leichtsinniger Mensch sey, ob mir gleich in der Welt nichts Bittereres haͤtte gesagt werden koͤnnen; schon das Wort Leichtsinn empoͤrt mich, und ich gerathe in die allergroͤßte Verlegenheit, wenn man mir auf die entfernteste Art zu verstehen giebt, daß ich von jenem Fehler angesteckt sey.</p> <p>Jch danke es der Guͤte des Himmels, daß sie mich immer in die Haͤnde guter Menschen gefuͤhrt hat, meine erstaunliche Nachgiebigkeit gegen meine<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [95/0097]
und ich glaub, daß ich sie dereinst gewiß in einer andern Welt antreffen werde.
Jch halte es fuͤr eine Schwaͤche meiner Seele, daß ich gegen meine Freunde eine zu leichte Nachgiebigkeit und Geschmeidigkeit besitze, mich nach ihnen zu accommodiren. Jch nehme nach und nach gleichsam ganz ihre Person unwillkuͤrlich an; ich bilde meinen Gang, meine Geberden, meine Stimme, meine Denkungsart sehr leicht nach der ihrigen, – so unausstehlich mir auf der andern Seite der Gedanke einer begangenen Nachaͤffung ist. Meine Neigung, gefaͤllig zu seyn, hat mich schon zu mancher Thorheit verleitet, mich in sehr unangenehme Verlegenheiten gesetzt. – Jch kann schwerlich einem meiner Bekannten etwas abschlagen, ich verspreche, – und kann hinterher mein Versprechen nicht halten; – ich versprach, ob ich gleich schon in diesem Augenblick einsahe, daß ich nicht wuͤrde Wort halten koͤnnen. Jch habe daher oft von mir hoͤren muͤssen, daß ich ein leichtsinniger Mensch sey, ob mir gleich in der Welt nichts Bittereres haͤtte gesagt werden koͤnnen; schon das Wort Leichtsinn empoͤrt mich, und ich gerathe in die allergroͤßte Verlegenheit, wenn man mir auf die entfernteste Art zu verstehen giebt, daß ich von jenem Fehler angesteckt sey.
Jch danke es der Guͤte des Himmels, daß sie mich immer in die Haͤnde guter Menschen gefuͤhrt hat, meine erstaunliche Nachgiebigkeit gegen meine
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0501_1787/97>, abgerufen am 16.07.2024. |