Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0098" n="96"/><lb/> Bekannten wuͤrde mich leicht ins groͤßte Verderben gestuͤrzt haben, wenn sie schlechte Menschen gewesen waͤren. Den meisten Gefahren, verfuͤhrt zu werden, bin ich durch den Umgang mit vornehmen und gesitteten Frauenzimmern entgangen, die groͤßtentheils aͤlter als ich waren, und eine Art Autoritaͤt uͤber mein Herz hatten. Eben dieses Gefuͤhl von Autoritaͤt hielt mich zuruͤck, mich verschiedenemahl nicht zu vergessen, als einige meiner Freundinnen mir gewisse Schwaͤchen verriethen, wogegen unser Geschlecht nicht weniger als gleichguͤltig zu seyn scheint, zumahl wenn die Eindruͤcke der Liebe durch die Einsamkeit des Orts, durch die voͤllige Sicherheit, und durch die Lage des weiblichen verfuͤhrerischen Koͤrpers beguͤnstigt werden. Jch dachte mir immer noch zu lebhaft die Verlegenheit, in welche ich kommen wuͤrde, wenn ein Frauenzimmer meine zaͤrtlichen Antraͤge zuruͤckwiese, und mir vielleicht auf ewig ihren Umgang untersagte; ich schaͤmte mich schon vor den Gedanken einer zu weit getriebenen Beruͤhrung des weiblichen Koͤrpers, – und dennoch habe ich nie meine Neugierde unterdruͤcken koͤnnen, schlafende Frauenzimmer wenigstens in der Ferne zu beobachten. Jch habe mich dadurch oft in die augenscheinlichsten Gefahren gestuͤrzt, aber ich habe mich lieber den groͤßten Ausschweifungen meiner Phantasie uͤberlassen, als auf eine leichtsinnige Art meine Hochachtung gegen das andere Geschlecht <choice><corr>abzulegen,</corr><sic>zabeulgen [zu beleidigen lt. Druckfehlerverz. MzE 5.3]</sic></choice> – selbst da bin ich standhaft geblieben,<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [96/0098]
Bekannten wuͤrde mich leicht ins groͤßte Verderben gestuͤrzt haben, wenn sie schlechte Menschen gewesen waͤren. Den meisten Gefahren, verfuͤhrt zu werden, bin ich durch den Umgang mit vornehmen und gesitteten Frauenzimmern entgangen, die groͤßtentheils aͤlter als ich waren, und eine Art Autoritaͤt uͤber mein Herz hatten. Eben dieses Gefuͤhl von Autoritaͤt hielt mich zuruͤck, mich verschiedenemahl nicht zu vergessen, als einige meiner Freundinnen mir gewisse Schwaͤchen verriethen, wogegen unser Geschlecht nicht weniger als gleichguͤltig zu seyn scheint, zumahl wenn die Eindruͤcke der Liebe durch die Einsamkeit des Orts, durch die voͤllige Sicherheit, und durch die Lage des weiblichen verfuͤhrerischen Koͤrpers beguͤnstigt werden. Jch dachte mir immer noch zu lebhaft die Verlegenheit, in welche ich kommen wuͤrde, wenn ein Frauenzimmer meine zaͤrtlichen Antraͤge zuruͤckwiese, und mir vielleicht auf ewig ihren Umgang untersagte; ich schaͤmte mich schon vor den Gedanken einer zu weit getriebenen Beruͤhrung des weiblichen Koͤrpers, – und dennoch habe ich nie meine Neugierde unterdruͤcken koͤnnen, schlafende Frauenzimmer wenigstens in der Ferne zu beobachten. Jch habe mich dadurch oft in die augenscheinlichsten Gefahren gestuͤrzt, aber ich habe mich lieber den groͤßten Ausschweifungen meiner Phantasie uͤberlassen, als auf eine leichtsinnige Art meine Hochachtung gegen das andere Geschlecht abzulegen, – selbst da bin ich standhaft geblieben,
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