Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite


gemacht hat, wovon ich nur das physiognomische Gefühl anführen will, das seinen Grund blos in der Vorstellungskraft der Seele haben kann. Ferner ist der Zustand, worinn unsere Seele völlig unthätig zu seyn scheint, immer noch mit einigem Bewußtseyn dieser Unthätigkeit selbst verbunden. Wir bemerken die Leere der Gedanken, die in uns herrscht, indem wir den jetzigen Zustand -- (das negative) -- mit einem vorhergehenden thätigen -- (das positive) -- vergleichen; ob wir gleich wieder von diesen Vergleichungsideen kein eigenes individuelles Bewußtseyn haben. Wir haben ein inneres Zeitgefühl von der Dauer jener Unthätigkeit, und oft eine dunkle Vorstellung von der noch daurenden Länge derselben. Es ist bekannt, daß sich viele Leute so gewöhnt haben, daß sie in der Minute aufwachen, in welcher sie es sich den Abend vorher vorgenommen hatten. Wenn auch gleich hier die Gewohnheit nach und nach in dem Körper eine solche Disposition veranlassen kann, daß die Seele um eine bestimmte Zeit aufwachen muß; so war doch diese Gewohnheit anfangs selbst nichts anders als ein dunklesZählen der Augenblicke, welches die Seele während des Schlafs, ohne alles Bewußtseyn, denn wir fühlen ja nichts davon, vornahm.

Man könnte diese Betrachtungen noch durch viel mehrere Erfahrungsgründe unterstützen, wenn es nöthig wäre, und ich will nur noch dies anführen. Unsere zusammengesetzten Vorstellungen, die wir ha-


gemacht hat, wovon ich nur das physiognomische Gefuͤhl anfuͤhren will, das seinen Grund blos in der Vorstellungskraft der Seele haben kann. Ferner ist der Zustand, worinn unsere Seele voͤllig unthaͤtig zu seyn scheint, immer noch mit einigem Bewußtseyn dieser Unthaͤtigkeit selbst verbunden. Wir bemerken die Leere der Gedanken, die in uns herrscht, indem wir den jetzigen Zustand — (das negative) — mit einem vorhergehenden thaͤtigen — (das positive) — vergleichen; ob wir gleich wieder von diesen Vergleichungsideen kein eigenes individuelles Bewußtseyn haben. Wir haben ein inneres Zeitgefuͤhl von der Dauer jener Unthaͤtigkeit, und oft eine dunkle Vorstellung von der noch daurenden Laͤnge derselben. Es ist bekannt, daß sich viele Leute so gewoͤhnt haben, daß sie in der Minute aufwachen, in welcher sie es sich den Abend vorher vorgenommen hatten. Wenn auch gleich hier die Gewohnheit nach und nach in dem Koͤrper eine solche Disposition veranlassen kann, daß die Seele um eine bestimmte Zeit aufwachen muß; so war doch diese Gewohnheit anfangs selbst nichts anders als ein dunklesZaͤhlen der Augenblicke, welches die Seele waͤhrend des Schlafs, ohne alles Bewußtseyn, denn wir fuͤhlen ja nichts davon, vornahm.

Man koͤnnte diese Betrachtungen noch durch viel mehrere Erfahrungsgruͤnde unterstuͤtzen, wenn es noͤthig waͤre, und ich will nur noch dies anfuͤhren. Unsere zusammengesetzten Vorstellungen, die wir ha-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0065" n="65"/><lb/>
gemacht                   hat, wovon ich nur das physiognomische Gefu&#x0364;hl anfu&#x0364;hren will, das seinen Grund blos                   in der Vorstellungskraft der Seele haben kann. Ferner ist der Zustand, worinn                   unsere Seele vo&#x0364;llig untha&#x0364;tig zu seyn scheint, <hi rendition="#b">immer</hi> noch                   mit einigem <hi rendition="#b">Bewußtseyn</hi> dieser Untha&#x0364;tigkeit selbst                   verbunden. Wir bemerken die Leere der Gedanken, die in uns herrscht, indem wir den                   jetzigen Zustand &#x2014; (das negative) &#x2014; mit einem vorhergehenden tha&#x0364;tigen &#x2014; (das                   positive) &#x2014; vergleichen; ob wir gleich wieder von diesen Vergleichungsideen kein                   eigenes individuelles Bewußtseyn haben. Wir haben ein inneres <hi rendition="#b">Zeitgefu&#x0364;hl</hi> von der Dauer jener Untha&#x0364;tigkeit, und oft eine dunkle                   Vorstellung von der noch daurenden La&#x0364;nge derselben. Es ist bekannt, daß sich viele                   Leute so gewo&#x0364;hnt haben, daß sie in der Minute aufwachen, in welcher sie es sich                   den Abend vorher vorgenommen hatten. Wenn auch gleich hier die Gewohnheit nach und                   nach in dem Ko&#x0364;rper eine solche Disposition veranlassen kann, daß die Seele um eine                   bestimmte Zeit aufwachen muß; so war doch diese Gewohnheit anfangs selbst nichts                   anders als ein dunkles<hi rendition="#b">Za&#x0364;hlen</hi> der Augenblicke, welches die                   Seele wa&#x0364;hrend des Schlafs, ohne alles Bewußtseyn, denn wir fu&#x0364;hlen ja nichts davon,                   vornahm.</p>
            <p>Man ko&#x0364;nnte diese Betrachtungen noch durch viel mehrere Erfahrungsgru&#x0364;nde                   unterstu&#x0364;tzen, wenn es no&#x0364;thig wa&#x0364;re, und ich will nur noch dies anfu&#x0364;hren. Unsere <hi rendition="#b">zusammengesetzten Vorstellungen,</hi> die wir ha-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[65/0065] gemacht hat, wovon ich nur das physiognomische Gefuͤhl anfuͤhren will, das seinen Grund blos in der Vorstellungskraft der Seele haben kann. Ferner ist der Zustand, worinn unsere Seele voͤllig unthaͤtig zu seyn scheint, immer noch mit einigem Bewußtseyn dieser Unthaͤtigkeit selbst verbunden. Wir bemerken die Leere der Gedanken, die in uns herrscht, indem wir den jetzigen Zustand — (das negative) — mit einem vorhergehenden thaͤtigen — (das positive) — vergleichen; ob wir gleich wieder von diesen Vergleichungsideen kein eigenes individuelles Bewußtseyn haben. Wir haben ein inneres Zeitgefuͤhl von der Dauer jener Unthaͤtigkeit, und oft eine dunkle Vorstellung von der noch daurenden Laͤnge derselben. Es ist bekannt, daß sich viele Leute so gewoͤhnt haben, daß sie in der Minute aufwachen, in welcher sie es sich den Abend vorher vorgenommen hatten. Wenn auch gleich hier die Gewohnheit nach und nach in dem Koͤrper eine solche Disposition veranlassen kann, daß die Seele um eine bestimmte Zeit aufwachen muß; so war doch diese Gewohnheit anfangs selbst nichts anders als ein dunklesZaͤhlen der Augenblicke, welches die Seele waͤhrend des Schlafs, ohne alles Bewußtseyn, denn wir fuͤhlen ja nichts davon, vornahm. Man koͤnnte diese Betrachtungen noch durch viel mehrere Erfahrungsgruͤnde unterstuͤtzen, wenn es noͤthig waͤre, und ich will nur noch dies anfuͤhren. Unsere zusammengesetzten Vorstellungen, die wir ha-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787/65
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787/65>, abgerufen am 18.12.2024.