Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite


Heiland könne besser lehren, als Menschen. "Es entstund eine seltsame Unruhe in mir, ein ängstliches Mißfallen an mir selbst, an allen noch so rechtmäßigen und unschuldigen Handlungen. -- Jn den Collegiis war ich fast lauter Gebet und Application; kam von bösen Menschen vor in Psalmen oder Historie: so sagte ich mir immer, so böse waren die doch nicht, als ich. Recht gut weis ich es noch, daß, als ich einst ganz allein Abends aus dem Collegio auf dem großen Platze des Waisenhauses spazieren ging, in tiefer Betrübniß wünschte: o wäre ich dieser Klumpe Eis, dieses Stück Holz!"

Die alte Liebe zu den Humanioribus erwacht in ihm wieder, und er kauft sich die scriptores rei rusticae. -- Sein schwärmerischer Freund ist unzufrieden über den Kauf eines weltlichen Buchs, und Semlern wird dadurch die ganze Freude verbittert. Endlich reißt ihn doch jene Liebe zu den Alten, und der Umgang mit Baumgarten aus dem mystischen Wesen heraus u.s.w.

Die damaligen frommen Brüder waren Leute von einer besondern Gattung, und unterscheiden sich sehr von den heutigen Schwärmern dieser Art, weil auch diese klüger geworden sind, als ihre Vorgänger. Jene bestanden aus einem Haufen dummer unwissender Menschen, die eine alberne Frömmigkeit selbst auf den Straßen an den Tag legten, und in einem


Heiland koͤnne besser lehren, als Menschen. »Es entstund eine seltsame Unruhe in mir, ein aͤngstliches Mißfallen an mir selbst, an allen noch so rechtmaͤßigen und unschuldigen Handlungen. — Jn den Collegiis war ich fast lauter Gebet und Application; kam von boͤsen Menschen vor in Psalmen oder Historie: so sagte ich mir immer, so boͤse waren die doch nicht, als ich. Recht gut weis ich es noch, daß, als ich einst ganz allein Abends aus dem Collegio auf dem großen Platze des Waisenhauses spazieren ging, in tiefer Betruͤbniß wuͤnschte: o waͤre ich dieser Klumpe Eis, dieses Stuͤck Holz!«

Die alte Liebe zu den Humanioribus erwacht in ihm wieder, und er kauft sich die scriptores rei rusticae. — Sein schwaͤrmerischer Freund ist unzufrieden uͤber den Kauf eines weltlichen Buchs, und Semlern wird dadurch die ganze Freude verbittert. Endlich reißt ihn doch jene Liebe zu den Alten, und der Umgang mit Baumgarten aus dem mystischen Wesen heraus u.s.w.

Die damaligen frommen Bruͤder waren Leute von einer besondern Gattung, und unterscheiden sich sehr von den heutigen Schwaͤrmern dieser Art, weil auch diese kluͤger geworden sind, als ihre Vorgaͤnger. Jene bestanden aus einem Haufen dummer unwissender Menschen, die eine alberne Froͤmmigkeit selbst auf den Straßen an den Tag legten, und in einem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0122" n="122"/><lb/>
Heiland ko&#x0364;nne besser lehren, als                   Menschen. »Es entstund eine seltsame Unruhe in mir, ein a&#x0364;ngstliches Mißfallen an                   mir selbst, an allen noch so rechtma&#x0364;ßigen <choice><corr>und</corr><sic>und und</sic></choice> unschuldigen Handlungen. &#x2014; Jn den Collegiis                   war ich fast lauter Gebet und Application; kam von bo&#x0364;sen Menschen vor in Psalmen                   oder Historie: so sagte ich mir immer, so bo&#x0364;se waren die doch nicht, als ich.                   Recht gut weis ich es noch, daß, als ich einst ganz allein Abends aus dem Collegio                   auf dem großen Platze des Waisenhauses spazieren ging, in tiefer Betru&#x0364;bniß                   wu&#x0364;nschte: o wa&#x0364;re ich dieser Klumpe Eis, dieses Stu&#x0364;ck <choice><corr>Holz!«</corr><sic>Holz!</sic></choice></p>
          <p>Die alte Liebe zu den <hi rendition="#aq">Humanioribus</hi> erwacht in ihm                   wieder, und er kauft sich die <hi rendition="#aq">scriptores rei rusticae.</hi> &#x2014; Sein schwa&#x0364;rmerischer Freund ist unzufrieden u&#x0364;ber den Kauf eines weltlichen                   Buchs, und <hi rendition="#b">Semlern</hi> wird dadurch die ganze Freude                   verbittert. Endlich reißt ihn doch jene Liebe zu den Alten, und der Umgang mit <hi rendition="#b">Baumgarten</hi> aus dem mystischen Wesen heraus u.s.w.</p>
          <p>Die damaligen frommen Bru&#x0364;der waren Leute von einer besondern Gattung, und                   unterscheiden sich sehr von den heutigen Schwa&#x0364;rmern dieser Art, weil auch diese                   klu&#x0364;ger geworden sind, als ihre Vorga&#x0364;nger. Jene bestanden aus einem Haufen dummer                   unwissender Menschen, die eine alberne Fro&#x0364;mmigkeit selbst auf den Straßen an den                   Tag legten, und in einem<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[122/0122] Heiland koͤnne besser lehren, als Menschen. »Es entstund eine seltsame Unruhe in mir, ein aͤngstliches Mißfallen an mir selbst, an allen noch so rechtmaͤßigen und unschuldigen Handlungen. — Jn den Collegiis war ich fast lauter Gebet und Application; kam von boͤsen Menschen vor in Psalmen oder Historie: so sagte ich mir immer, so boͤse waren die doch nicht, als ich. Recht gut weis ich es noch, daß, als ich einst ganz allein Abends aus dem Collegio auf dem großen Platze des Waisenhauses spazieren ging, in tiefer Betruͤbniß wuͤnschte: o waͤre ich dieser Klumpe Eis, dieses Stuͤck Holz!« Die alte Liebe zu den Humanioribus erwacht in ihm wieder, und er kauft sich die scriptores rei rusticae. — Sein schwaͤrmerischer Freund ist unzufrieden uͤber den Kauf eines weltlichen Buchs, und Semlern wird dadurch die ganze Freude verbittert. Endlich reißt ihn doch jene Liebe zu den Alten, und der Umgang mit Baumgarten aus dem mystischen Wesen heraus u.s.w. Die damaligen frommen Bruͤder waren Leute von einer besondern Gattung, und unterscheiden sich sehr von den heutigen Schwaͤrmern dieser Art, weil auch diese kluͤger geworden sind, als ihre Vorgaͤnger. Jene bestanden aus einem Haufen dummer unwissender Menschen, die eine alberne Froͤmmigkeit selbst auf den Straßen an den Tag legten, und in einem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0503_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0503_1787/122
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0503_1787/122>, abgerufen am 27.11.2024.