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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787.

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Man sage nicht, "es habe zu allen Zeiten und in allen Jahrhunderten Schwärmer, Geisterseher, Wahrsager und Wunderthäter gegeben. Unser Jahrhundert unterscheide sich von den übrigen nicht sowohl dadurch, daß es anders handle, als vielmehr, daß es mehr und anders sehe, als jedes der andern; daß es sich selbst mehr kenne. So viele von allen Seiten her aufgesteckte und selbst bis in die verborgensten Winkel getragene Lichter machten nur, daß die hie und dort herrschende Finsterniß um so viel auffallender erscheine".

Jch glaube das anerkannt große Heer der Gläubigen und Anhänger, die ein Lavater, ein Cagliostro, ein Gaßner, ein Mesmer unter ihrer Fahne schon so lange führten und noch führen, und von denen man ohne alle Hyperbol sagen kann, daß sie in aller Welt zerstreut sind; der entschiedene Scharfsinn und philosophische Geist so vieler, die diesen Herren in so großer Menge sich angeschlossen und noch täglich anschliessen; der geglaubte vortrefliche Charakter, die große und feine Weltklugheit, und großen Talente eines Lavaters,-- der demohnerachtet der größte Schwärmer seines Jahrhunderts ist; -- alles dieses könnte, glaube ich, Antwort genug auf jenen Einwurf seyn, und die Aufmerksamkeit rechtfertigen, die der denkende Kopf diesem Phänomen widmet. Es läßt sich zum wenigsten so viel daraus schließen, daß entweder neue und gefährlichere Quellen der Schwärmerey sich ge-


Man sage nicht, »es habe zu allen Zeiten und in allen Jahrhunderten Schwaͤrmer, Geisterseher, Wahrsager und Wunderthaͤter gegeben. Unser Jahrhundert unterscheide sich von den uͤbrigen nicht sowohl dadurch, daß es anders handle, als vielmehr, daß es mehr und anders sehe, als jedes der andern; daß es sich selbst mehr kenne. So viele von allen Seiten her aufgesteckte und selbst bis in die verborgensten Winkel getragene Lichter machten nur, daß die hie und dort herrschende Finsterniß um so viel auffallender erscheine«.

Jch glaube das anerkannt große Heer der Glaͤubigen und Anhaͤnger, die ein Lavater, ein Cagliostro, ein Gaßner, ein Mesmer unter ihrer Fahne schon so lange fuͤhrten und noch fuͤhren, und von denen man ohne alle Hyperbol sagen kann, daß sie in aller Welt zerstreut sind; der entschiedene Scharfsinn und philosophische Geist so vieler, die diesen Herren in so großer Menge sich angeschlossen und noch taͤglich anschliessen; der geglaubte vortrefliche Charakter, die große und feine Weltklugheit, und großen Talente eines Lavaters,— der demohnerachtet der groͤßte Schwaͤrmer seines Jahrhunderts ist; — alles dieses koͤnnte, glaube ich, Antwort genug auf jenen Einwurf seyn, und die Aufmerksamkeit rechtfertigen, die der denkende Kopf diesem Phaͤnomen widmet. Es laͤßt sich zum wenigsten so viel daraus schließen, daß entweder neue und gefaͤhrlichere Quellen der Schwaͤrmerey sich ge-

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[24/0024] Man sage nicht, »es habe zu allen Zeiten und in allen Jahrhunderten Schwaͤrmer, Geisterseher, Wahrsager und Wunderthaͤter gegeben. Unser Jahrhundert unterscheide sich von den uͤbrigen nicht sowohl dadurch, daß es anders handle, als vielmehr, daß es mehr und anders sehe, als jedes der andern; daß es sich selbst mehr kenne. So viele von allen Seiten her aufgesteckte und selbst bis in die verborgensten Winkel getragene Lichter machten nur, daß die hie und dort herrschende Finsterniß um so viel auffallender erscheine«. Jch glaube das anerkannt große Heer der Glaͤubigen und Anhaͤnger, die ein Lavater, ein Cagliostro, ein Gaßner, ein Mesmer unter ihrer Fahne schon so lange fuͤhrten und noch fuͤhren, und von denen man ohne alle Hyperbol sagen kann, daß sie in aller Welt zerstreut sind; der entschiedene Scharfsinn und philosophische Geist so vieler, die diesen Herren in so großer Menge sich angeschlossen und noch taͤglich anschliessen; der geglaubte vortrefliche Charakter, die große und feine Weltklugheit, und großen Talente eines Lavaters,— der demohnerachtet der groͤßte Schwaͤrmer seines Jahrhunderts ist; — alles dieses koͤnnte, glaube ich, Antwort genug auf jenen Einwurf seyn, und die Aufmerksamkeit rechtfertigen, die der denkende Kopf diesem Phaͤnomen widmet. Es laͤßt sich zum wenigsten so viel daraus schließen, daß entweder neue und gefaͤhrlichere Quellen der Schwaͤrmerey sich ge-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0503_1787/24>, abgerufen am 21.11.2024.