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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787.

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sem Jahrhundert selbst, der Geschichte und Entstehungsart seiner Bildung, und allen übrigen Zufälligkeiten desselben zu entwickeln suchen. --

Erst aber wollen wir den Begriff von Schwärmerey festsetzen. Worte werden wie Münzen unter anderm Gehalt ausgegeben, als sie wirklich haben, und in unserm Zeitalter der flüchtigen Modejournale, der leichtsinnigen Schöngeisterey und der halbverdauten Toilettenlectüre jeder Art ist vielleicht der willkührliche oder unwillkührliche Mißbrauch eines so oft genannten Worts mehr als jemals zu besorgen, zumal wenn der ihm untergelegte Begriff ein Begriff des Verhältnisses, d. h.einer von denen ist, die nur durch das mehr oder minder bestimmt werden. Hume hat in seinem Versuch von den Wortstreitigkeiten gezeigt, daß bey den meisten philosophischen Streitigkeiten Begriffe dieser Art zu Grunde liegen, und von dieser Gattung ist, wie wir gleich sehen werden, der Begriff von der Schwärmerey.

"Der Mensch schwärmt", sagen wir von einem andern, dessen Jdeen durch einen Rausch, oder andere Art von Betäubung der Seele über einander geworfen und in Taumel gesetzt werden, und den wir nun eine unzusammenhängende Jdeenreihe hervorbringen hören. Die Seele eines solchen Menschen befindet sich in dem Zustande des Halbwachens. Die Jdeen, die sie zusammensetzt,


sem Jahrhundert selbst, der Geschichte und Entstehungsart seiner Bildung, und allen uͤbrigen Zufaͤlligkeiten desselben zu entwickeln suchen. —

Erst aber wollen wir den Begriff von Schwaͤrmerey festsetzen. Worte werden wie Muͤnzen unter anderm Gehalt ausgegeben, als sie wirklich haben, und in unserm Zeitalter der fluͤchtigen Modejournale, der leichtsinnigen Schoͤngeisterey und der halbverdauten Toilettenlectuͤre jeder Art ist vielleicht der willkuͤhrliche oder unwillkuͤhrliche Mißbrauch eines so oft genannten Worts mehr als jemals zu besorgen, zumal wenn der ihm untergelegte Begriff ein Begriff des Verhaͤltnisses, d. h.einer von denen ist, die nur durch das mehr oder minder bestimmt werden. Hume hat in seinem Versuch von den Wortstreitigkeiten gezeigt, daß bey den meisten philosophischen Streitigkeiten Begriffe dieser Art zu Grunde liegen, und von dieser Gattung ist, wie wir gleich sehen werden, der Begriff von der Schwaͤrmerey.

»Der Mensch schwaͤrmt«, sagen wir von einem andern, dessen Jdeen durch einen Rausch, oder andere Art von Betaͤubung der Seele uͤber einander geworfen und in Taumel gesetzt werden, und den wir nun eine unzusammenhaͤngende Jdeenreihe hervorbringen hoͤren. Die Seele eines solchen Menschen befindet sich in dem Zustande des Halbwachens. Die Jdeen, die sie zusammensetzt,

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[26/0026] sem Jahrhundert selbst, der Geschichte und Entstehungsart seiner Bildung, und allen uͤbrigen Zufaͤlligkeiten desselben zu entwickeln suchen. — Erst aber wollen wir den Begriff von Schwaͤrmerey festsetzen. Worte werden wie Muͤnzen unter anderm Gehalt ausgegeben, als sie wirklich haben, und in unserm Zeitalter der fluͤchtigen Modejournale, der leichtsinnigen Schoͤngeisterey und der halbverdauten Toilettenlectuͤre jeder Art ist vielleicht der willkuͤhrliche oder unwillkuͤhrliche Mißbrauch eines so oft genannten Worts mehr als jemals zu besorgen, zumal wenn der ihm untergelegte Begriff ein Begriff des Verhaͤltnisses, d. h.einer von denen ist, die nur durch das mehr oder minder bestimmt werden. Hume hat in seinem Versuch von den Wortstreitigkeiten gezeigt, daß bey den meisten philosophischen Streitigkeiten Begriffe dieser Art zu Grunde liegen, und von dieser Gattung ist, wie wir gleich sehen werden, der Begriff von der Schwaͤrmerey. »Der Mensch schwaͤrmt«, sagen wir von einem andern, dessen Jdeen durch einen Rausch, oder andere Art von Betaͤubung der Seele uͤber einander geworfen und in Taumel gesetzt werden, und den wir nun eine unzusammenhaͤngende Jdeenreihe hervorbringen hoͤren. Die Seele eines solchen Menschen befindet sich in dem Zustande des Halbwachens. Die Jdeen, die sie zusammensetzt,

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0503_1787/26>, abgerufen am 27.04.2024.