Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787.
Jn den allermeisten Fällen wünschen wir uns aber wirklich in den Besitz der Vorzüge, die ein anderer vor uns voraus, oder auch gemein hat -- denn wir denken uns die seinen immer größer, als sie sind, -- der Neid erhöht eben so leicht das Glück des andern in der Einbildung, als er sich quält, das Bild jenes Glücks zu verkleinern. Wir denken uns lebhaft in die glückliche Lage des andern hinein, ob gleich der andere das Angenehme und Reitzende derselben hundertmal weniger empfinden mag, als wir von ihm glauben. Wir setzen uns in die Stelle desselben; -- denken uns, wie wohl ihm zu Muthe seyn müsse, wenn er Ehrenbezeugungen und Lobsprüche einärndet, Gelder einstreicht, die Freuden und Bequemlichkeiten des Lebens ruhig und nach Gefallen genießen kann, mit angesehenen Leuten umgeht, mächtige Gönner und Freunde hat, Freude an seinen Kindern erlebt. -- Wir denken uns gleichsam in die Seele des Mannes, den keine Sorgen drücken, der von keinen trüben Aussichten in die
Jn den allermeisten Faͤllen wuͤnschen wir uns aber wirklich in den Besitz der Vorzuͤge, die ein anderer vor uns voraus, oder auch gemein hat — denn wir denken uns die seinen immer groͤßer, als sie sind, — der Neid erhoͤht eben so leicht das Gluͤck des andern in der Einbildung, als er sich quaͤlt, das Bild jenes Gluͤcks zu verkleinern. Wir denken uns lebhaft in die gluͤckliche Lage des andern hinein, ob gleich der andere das Angenehme und Reitzende derselben hundertmal weniger empfinden mag, als wir von ihm glauben. Wir setzen uns in die Stelle desselben; — denken uns, wie wohl ihm zu Muthe seyn muͤsse, wenn er Ehrenbezeugungen und Lobspruͤche einaͤrndet, Gelder einstreicht, die Freuden und Bequemlichkeiten des Lebens ruhig und nach Gefallen genießen kann, mit angesehenen Leuten umgeht, maͤchtige Goͤnner und Freunde hat, Freude an seinen Kindern erlebt. — Wir denken uns gleichsam in die Seele des Mannes, den keine Sorgen druͤcken, der von keinen truͤben Aussichten in die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0058" n="58"/><lb/> taͤuschenden Vorstellung von den Vorzuͤgen jenes Gluͤcks geleitet, wodurch der andre mehr Gewicht und Ansehn, wenigstens zu bekommen scheint, als wir ihm wuͤnschen, und wir wuͤnschen ihm dieses vermoͤge jener dunkeln Vorstellung nicht, weil wir eine Verdunkelung unsrer Vorzuͤge, eine Herabsetzung unseres Jchs, wenigstens in unsrer Einbildung, befuͤrchten.</p> <p>Jn den allermeisten Faͤllen wuͤnschen wir uns aber wirklich in den Besitz der Vorzuͤge, die ein anderer vor uns voraus, oder auch gemein hat — denn wir denken uns die seinen immer groͤßer, als sie sind, — der Neid erhoͤht eben so leicht das Gluͤck des andern in der Einbildung, als er sich quaͤlt, das Bild jenes Gluͤcks zu verkleinern. Wir denken uns lebhaft in die gluͤckliche Lage des andern hinein, ob gleich der andere das Angenehme und Reitzende derselben hundertmal weniger empfinden mag, als wir von ihm glauben. Wir setzen uns in die Stelle desselben; — denken uns, wie wohl ihm zu Muthe seyn muͤsse, wenn er Ehrenbezeugungen und Lobspruͤche einaͤrndet, Gelder einstreicht, die Freuden und Bequemlichkeiten des Lebens ruhig und nach Gefallen genießen kann, mit angesehenen Leuten umgeht, maͤchtige Goͤnner und Freunde hat, Freude an seinen Kindern erlebt. — Wir denken uns gleichsam in die Seele des Mannes, den keine Sorgen druͤcken, der von keinen truͤben Aussichten in die<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [58/0058]
taͤuschenden Vorstellung von den Vorzuͤgen jenes Gluͤcks geleitet, wodurch der andre mehr Gewicht und Ansehn, wenigstens zu bekommen scheint, als wir ihm wuͤnschen, und wir wuͤnschen ihm dieses vermoͤge jener dunkeln Vorstellung nicht, weil wir eine Verdunkelung unsrer Vorzuͤge, eine Herabsetzung unseres Jchs, wenigstens in unsrer Einbildung, befuͤrchten.
Jn den allermeisten Faͤllen wuͤnschen wir uns aber wirklich in den Besitz der Vorzuͤge, die ein anderer vor uns voraus, oder auch gemein hat — denn wir denken uns die seinen immer groͤßer, als sie sind, — der Neid erhoͤht eben so leicht das Gluͤck des andern in der Einbildung, als er sich quaͤlt, das Bild jenes Gluͤcks zu verkleinern. Wir denken uns lebhaft in die gluͤckliche Lage des andern hinein, ob gleich der andere das Angenehme und Reitzende derselben hundertmal weniger empfinden mag, als wir von ihm glauben. Wir setzen uns in die Stelle desselben; — denken uns, wie wohl ihm zu Muthe seyn muͤsse, wenn er Ehrenbezeugungen und Lobspruͤche einaͤrndet, Gelder einstreicht, die Freuden und Bequemlichkeiten des Lebens ruhig und nach Gefallen genießen kann, mit angesehenen Leuten umgeht, maͤchtige Goͤnner und Freunde hat, Freude an seinen Kindern erlebt. — Wir denken uns gleichsam in die Seele des Mannes, den keine Sorgen druͤcken, der von keinen truͤben Aussichten in die
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